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Zum ersten Mal tritt ein Ensemble aus Mexiko bei Young Euro Classic auf. Auf dem Programm stehen am 26. Juli Werke von Beethoven, Prokofjew und Revueltas.

© Alejandro Cárdenas

Young Euro Classic: Trommeln in der Nacht

Zum 14. Mal findet das Young-Euro-Classic-Festival im Berliner Konzerthaus statt. Eröffnet wird es vom Jugendorchester der Nationalen Universität Mexikos. Wie haben Chefdirigent Sergio Cárdenas zum Musikleben in seiner Heimat befragt.

„Mexiko plus Musik gleich Mariachi – auf dieses Klischee wird allzu oft das musikalische Bild Mexikos reduziert“, beklagt sich Sergio Cárdenas, der mit dem Jugendorchester der Nationalen Universität Mexikos das diesjährige Young Euro Classic Festival im Berliner Konzerthaus eröffnen wird. „Natürlich sind die Mariachi mit ihren mitreißenden Melodien ein wichtiges Element des mexikanischen Musiklebens, aber eben nur eines.“

In Mexiko gehört Musik zum Alltag. Mexikaner singen immer – wenn sie fröhlich sind oder frisch verliebt, melancholisch oder in Feierlaune. Sie schmettern ihre Lebensfreude hinaus oder verbergen ihren Schmerz hinter sentimentalen Klängen. Auf Straßen und Plätzen, in der U-Bahn, in Gaststätten, überall treten Musiker auf, allein oder in Gruppen, um Passanten und Gäste zu unterhalten.

Keine Busfahrt, bei der nicht aktuelle Popsongs oder die Klassiker der Volksmusik aus Lautsprechern dröhnen und zum Mitsingen animieren, kein Dorffest, bei dem nicht live traditionelle Musik gespielt wird. Und die ist in jeder Region anders. Die Gitarre ist fast immer dabei, im Norden kommen Akkordeon und Kontrabass hinzu, an der Golfküste sind die zarten Töne der Harfe gefragt, im Südosten erlebt man Meister der Marimba und im südlichen Bundesstaat Oaxaca geben die Bandas, die Blechblaskapellen, den Ton an. Zu deren Repertoire gehören auch populäre Klassiker wie Opernouvertüren, Märsche und Walzer.

Bei einem Festival mit klassischer Musik in Oaxaca kann man Konzerte erleben, die wegen des großen Publikumsandrangs aus einer Kirche auf den Platz davor übertragen werden. Drinnen spielt ein junger Geiger hingebungsvoll Tschaikowskys Violinkonzert, draußen lauschen die Zuhörer andächtig. Ein alter Mann indianischer Herkunft spürt den Unterschied: „Das ist wahre Musik, das ist Oper“, sucht er nach den passenden Worten. „Das, was wir in der Banda spielen, ist Unterhaltung, ist Tanzvergnügen.“

Das Festival in Oaxaca hat Sergio Cárdenas vor einigen Jahren ins Leben gerufen; später folgten weitere an anderen Orten, immer begleitet von Workshops, bei denen junge Musiker von erfahrenen Künstlern, darunter auch Berliner Philharmonikern, lernen. Cárdenas, der unter anderem in Salzburg studierte und dessen Karriere ihn wiederholt nach Deutschland führte, ist auch Komponist und leidenschaftlicher Pädagoge: „Ich komponiere beim Dirigieren und ich lehre in den von mir dirigierten Proben, wie ein Werk bei der Wiedergabe ‚komponiert’ werden soll.“ Er lehrt an der Nationalen Musikhochschule, die zur Universidad Nacional Autónoma de México gehört und leitet deren Symphonieorchester. Ein Ensemble, bei dem im rotierenden Wechsel der Semester gespielt wird. Um die besten Musiker für Berlin auszuwählen, wurde jetzt sogar eigens eine Jury aus 28 Künstlern und Musikprofessoren gebildet.

„Zum ersten Mal überhaupt ist ein Jugendorchester aus Mexiko zu einem Festival in Europa eingeladen, das ist schon ein Privileg. Aber dass wir auch das Eröffnungskonzert bei Young Euro Classic in Berlin spielen dürfen, erfüllt uns mit großem Stolz“, sagt Cárdenas. Längst hat das sommerliche Festival in der deutschen Hauptstadt Europa geografisch verlassen. Thailand, Australien und Brasilien sind weitere ferne Länder, die in den 17 Festivaltagen im Konzerthaus zu hören sein werden.

Auf dem Programm der Mexikaner steht Ludwig van Beethovens 5. Klavierkonzert mit der renommierten Pianistin Guadalupe Parrondo. Außerdem wollen die 92 jungen Mexikaner mit Auszügen aus Sergej Prokofjews „Romeo und Julia“ ihre Qualität unter Beweis stellen. Und mit einer Komposition des Mexikaners Silvestre Revueltas (1899–1940), dem spektakulären Werk „La Noche de los Mayas“ (Die Nacht der Mayas) nämlich, bei dem ganze 13 Schlagzeuger mitwirken.

Sechs Wochen lang haben die jungen Leute mit „viel Ernst und Enthusiasmus“ geprobt und in zwei umjubelten Konzerten das „Berliner Programm“ in Mexiko-Stadt vorgestellt. Jetzt wollen die jungen Mexikaner Berlin erobern – und mit landestypischer Leidenschaft zeigen, was sie können.

Der internationale Auftritt soll auch für mehr Anerkennung im eigenen Land sorgen. Denn, so Cárdenas: „Mexiko hat eine unerschöpfliche Quelle an musikalischen Talenten. Allerdings fehlt es gleichzeitig an Strukturen und Förderprogrammen, damit sich diese Talente auch entwickeln können.“

Ortrun Egelkraut

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