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The Good, The Bad & The Queen

© Penny Smith/Warner

Triumph für Damon Albarn: Spieldosenmelodien für den Rummelplatz

Perfekt eingespielte Musikmaschine: The Good, The Bad & The Queen spielen im Astra Kulturhaus und beklagen den Brexit.

Von Jörg Wunder

Kaum betritt er die Bühne im feuchtheißen Astra, reißt Damon Albarn wie entrückt die Arme in die Höhe. Was gibt’s zu feiern? Vielleicht ist der Fußballfan noch euphorisiert, weil sein Lieblingsverein Chelsea London vier Tage zuvor das Finale der Euro League gegen den Stadtrivalen Arsenal gewonnen hat. Der Zustand der politischen Kaste seiner Heimat ist es jedenfalls nicht. „Die Politik in England ist sehr schlecht“, lässt er später in seinem charmant rudimentären Deutsch vernehmen. Wer wollte ihm da widersprechen? Und obwohl der stets jugendlich wirkende 51-Jährige einen quasselstrippigen Abend erwischt, hält er sich sonst zurück mit politischen Statements. Und lässt lieber die Musik sprechen.

Prima Idee, denn The Good, The Bad & The Queen, eines von vielen Bandprojekten jenes Mannes, der Mitte der 90er mit den Gallagher-Brüdern von Oasis um die Krone des Britpop konkurrierte, ist ja eine der unwahrscheinlichsten Ansammlungen von Talent, die man in eine Quartettformation pressen kann.

Mehrgenerationprojekt von Ausnahmekünstlern

Neben Albarn, einer der besten Songwriter seiner Generation, aber auch ein großartiger Sänger und ein beherzt seine technischen Grenzen überspielender Piano- und Melodica-Solist, kommen bei diesem 2006 ins Leben gerufenen Mehrgenerationenprojekt drei weitere Hochkaräter zusammen: der Schiebermützenträger Paul Simonon, dessen mit dem Daumen geplonkter Dub-Bass vor 40 Jahren die Songs von The Clash durchfederte und nun die zentrifugalen Songs mit stoischen Metren einhegt. Simon Tong, 46, der bei den Britpop-Elegikern The Verve die zweite Gitarre spielte, hier aber als virtuoser Schlangenfingermann Solo- und Rhythmusgitarre lässig vereint. Und natürlich Tony Allen, die fast achtzigjährige Afrobeat-Ikone am Schlagzeug. Mit Sonnenbrille, Hütchen und nachtblauem Jackett strahlt er zeitlose modische Eleganz aus, während sein auf das Allernotwendigste reduziertes, gleichwohl vor Energie berstendes Getrommel von einer überirdischen Ausgeglichenheit durchflutet scheint.

Hassliebe zum Heimatland

Der Auftritt ist in zwei Blöcke geteilt: Erst wird das (fast) komplette 2018er Album „Merrie Land“ gespielt, mit dem Albarn in einem zwischen Wut und Melancholie pendelnden Tonfall das Abdriften seines gehassliebten Heimatlandes in die selbstgewählte Brexit-Isolation besingt. Anschließend kommt, ebenfalls in korrekter Reihenfolge, das elf Jahre zuvor erschienene Debüt „The Good, The Bad & The Queen“ zur Aufführung.

Bei aller stilistischen Verwandtschaft fällt auf, dass die neuen Stücke nicht nur eine höhere Verweisdichte auf die Pophistorie, sondern auch mehr musical- oder rummelplatzaffine Theatralik aufweisen. Dabei stellen sie gern in einer Art Brechtschen Verfremdungseffekt ihre Künstlichkeit zur Schau, was zu doppeldeutigen Interaktionen mit dem Publikum führt, etwa bei dem tausendstimmig mitgegrölten Shanty-Choral von „Gun To The Head“, dessen Coda wiederum das berühmte Finale von „A Day In The Life“ der Beatles zitiert.

Damon Albarn zeigt sich als Schelm

Die komplexen Arrangements sind für das durch ein Streicherinnenquartett, einen Perkussionisten und einen Tastenmann auf zehn Köpfe erweiterte Bühnenkollektiv kein Problem. Nur schleicht sich insbesondere bei Albarn manchmal fast zu viel schelmischer Unernst in die Performance. Umso ergreifender ist es dann, wenn er sich mit aufrichtig eingefühltem Gesang in seelenvolle Stücke wie „The Poison Tree“ wirft, durch dessen Akkorde ein Echo von Leonard Cohens „Hallelujah“-Hymnus weht.

Die ganze Routine dieser perfekt eingespielten Musikmaschine kommt bei den älteren Stücken noch deutlicher zum Tragen. Der schleppende Reggae-Blues von „History Song“, die Beach-Boys-Chöre in „80’s Life“, die Spieldosenmelodie von „The Bunting Song“, die überraschende Gitarrenhärte bei „Herculean“, das mit fernöstlichem Streicherschmelz bestäubte „A Soldier’s Tale“, der fersenbrechende Afro-Ska von „Three Changes“ - alles wird so mühe- wie schwerelos in einen organischen Flow gebracht, von dem sich Albarn tragen und mitreißen lässt.

Beschleunigung bis ins Delirium

Und es kommt sogar noch besser: „The Good, The Bad & The Queen“ ist ja nicht nur der Titel dieser unter einem glücklichen Stern stehenden Konstellation von Pop-Celebrities und ihres Debütalbums, sondern auch von dessen letztem Song, mit dem der Auftritt sein tosend bejubeltes Finale findet. Ein rhythmisch diffiziles, selbst Tony Allen alles abforderndes Stück, das in ein tobendes Delirium beschleunigt. Albarn wirft Arme und Beine zum Veitstanz hoch. Wer nach hundert schweißtreibenden Minuten noch Puste hat, tut es ihm gleich. Alle anderen strahlen einfach so vor Glück.

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