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Ein Paar mit Problemen. In „Treue“ hängt der Haussegen gewaltig schief.

© imago

Bestseller und bald auf Netflix: „Treue“ ist ein Riesenerfolg – aber literarisch belanglos

Der Roman von Marco Missiroli erzählt von einem italienischem Mittelschichtspaar in der Midlife-Crisis. Die größte Enttäuschung wartet hier aber auf den Leser.

Wenn ein Roman den Titel „Treue“ trägt, lässt sich schon ahnen, dass es mit der Treue nicht so weit her ist, sie zumindest diversen Anfechtungen ausgesetzt sein dürfte. Der italienische Bestsellerautor Marco Missiroli versucht in seinem neuen Buch den Missstimmungen eines Mittelschichtspaars so etwas wie Dramatik abzugewinnen. Allerdings: Carlo und Margherita, beide Anfang 30, sind Wohlstandskinder, die existenzielle Sorgen als Idee am Horizont durchaus kennen, am Ende aber doch immer wattiert fallen.

Carlo lehrt an der Mailänder Universität kreatives Schreiben, nebenbei lektoriert er Reisebücher. Margherita wäre gerne Architektin geworden, verdient ihr Geld nun aber als Immobilienmaklerin. Eines der Probleme von Margherita und Carlo: Schaffen sie es, eine Wohnung, die eine halbe Million Euro kosten soll, um einiges günstiger zu ergattern, – mit etwas unlauteren Mitteln?

Noch eine Sache steht im Raum: „Und während sie sich nun von ihrem Physiotherapeuten mit angemessener Intensität in einem Grenzgebiet berühren ließ und darauf wartete, ihm zu sagen, an welcher Stelle der Schmerz genau saß, kehrte Margherita innerlich zurück: zu ihrem Mann, der Tür zu den Toilettenräumen, Gebäude 5 der Universität, Erdgeschoss, die Damentoilette. Dies war die genaue Stelle, wo seit zwei Monaten der Schmerz saß.“

Der Schmerz sitzt tief, bei Margherita wie bei Carlo. Bei ihm, weil er eine Studentin zu „verführen“ sucht (eben auf jener Damentoilette der Uni), was misslingt – und ruchbar wird. Carlo gerät in eine kapitale Männlichkeitskrise, nicht so sehr aus Scham, sondern weil er bei der Studentin Sofia nicht reüssieren konnte. Margherita nutzt den Vorfall als Rechtfertigung, ihrerseits mit dem Physiotherapeuten Andrea anzubandeln. So weit, so Klischee.

Die eigentlichen Kränkungen dieser mediokren Bobos liegen tiefer: Carlo lehrt dank der Fürsprache seines einflussreichen Vaters zwar kreatives Schreiben; aber an einem eigenen Roman scheitert er kläglich. Auch Margherita musste sich von einstigen Idealen verabschieden – eine Maklerin ist eben keine Architektin. Darum geht es Missiroli: Wie man im Erwachsenendasein ankommen soll, ohne sich selbst untreu zu werden.

Der Roman hat etwas Glattes

Im zweiten Teil springt der Roman aus dem Finanzkrisenjahr 2009 ins Jahr 2018: Inzwischen besitzt das Paar nicht nur seine lang erstrebte Traum-Wohnung, sondern hat auch ein Kind. Carlo ist arbeitslos. Und leidet trotz einiger belangloser Seitensprünge an einem fundamentalen Impotenzgefühl: Weder als Autor hat er es geschafft noch bei Sofia, der Studentin von damals. Beides nagt an ihm. Bis er seine Niederlage anerkennt und erstmals vielleicht so etwas wie Souveränität erlangt, indem er ein anderes Narrativ über sein Leben legt.

Ob in dieser Erzählung aber Resignation oder Einsicht dominieren, weiß man nicht so genau. Margherita scheint hingegen in vielerlei Belangen – im Sexuellen wie Beruflichen – eine pragmatischere Haltung an den Tag zu legen. Sie „hielt die inneren Konflikte der anderen aus. Das Eheleben hatte aus ihr eine Frau gemacht, die Widersprüche ertragen konnte, ja ihnen fast schon Schutz bot…“

Anderen Figuren kommen nun tragende Rollen zu: der Mutter von Margherita, dem inzwischen offen schwul lebenden Andrea und auch Sofia, die längst in ihre Heimatstadt Rimini zurückgekehrt ist. Marco Missiroli erzählt in der dritten Person, in gleitenden Übergängen von einer Perspektive zur anderen.

[Marco Missiroli: Treue. Roman. Aus dem Italienischen von Esther Hansen. Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2021. 253 Seiten. 23 €.]

Die Schnitte zwischen den Szenen sind raffiniert, fast unsichtbar gesetzt. Trotz dieser multiperspektivischen Erzählweise hat der Roman etwas Glattes, Vorhersehbares, Belangloses: Den inneren Konflikten seiner Figuren vermag Missiroli sprachlich kaum beizukommen; allein Margheritas Mutter hat Kontur. Sie bleibt einem am längsten im Gedächtnis.

Irgendwie hat man das nicht ganz so schöne Gefühl, dass hier ein Roman über und für ein ganz bestimmtes Milieu am Reißbrett entworfen wurde – etwas, was man vielleicht in einem Schreib-Workshop lernt (wie ihn der erfolglose Carlo anbietet). Der Plan ist aufgegangen. „Treue“ hat in Italien nicht nur eine hohe Auflage erreicht; er erscheint in vielen Ländern und läuft demnächst als Netflix-Serie.

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