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Alles Kino. Frieder Schlaich umgeben von Filmgeschichte.

© Michele Galassi

Treffen mit Filmemacher Frieder Schlaich: Land unter der Lupe

Frieder Schlaich arbeitete mit Christoph Schlingensief und Werner Schroeter. Nun läuft sein Film „Naomis Reise“ in den Kinos. Ein Treffen.

Von Andreas Busche

Mitten im totsanierten Teil des Prenzlauer Bergs liegt, versteckt in einem historischen Gewerbehof aus der Kaiserzeit, eine kleine Oase der Cinephilie. Im zweiten Stock eines flachen Backsteinbaus öffnet sich hinter einer schweren Stahltür ein Refugium, das die Herzen von Filmfans höher schlagen lässt. Den Hauptraum der Fabriketage dominiert ein klobiger Schneidetisch Marke Steenbeck, ein Prunkstück aus der Ära des analogen Kinos. Filmdosen stehen stapelweise herum. „An dem Tisch hat damals Werner Schroeter nächtelang durchgearbeitet, um seinen letzten Film ’Diese Nacht’ rechtzeitig für Venedig fertig zu kriegen“, erinnert sich Frieder Schlaich bei der Begrüßung. Er führt zum Gespräch in einen Nebenraum, der als Filmbibliothek fungiert. Alles dreht sich an diesem Ort ums Kino, Vergangenheit und Gegenwart.

Die Fabriketage beherbergt seit 2005 die von Frieder Schlaich und Irene von Alberti betriebene Filmgalerie 451, vielleicht das produktivste deutsche Autorenlabel. Schlaich und von Alberti haben das Gesamtwerk von Christoph Schlingensief auf DVD veröffentlicht, sie haben den deutschen Regisseur Roland Klick einer neuen Generation von Filmemacherinnen und Filmemachern nahegebracht. In letzter Zeit konzentriert sich Filmgalerie 451 stärker auf die Produktion: Angela Schanelecs „Der traumhafte Weg“ und Robert Schwentkes „Der Hauptmann“, der in diesem Jahr für den deutschen Filmpreis nominiert war, stehen in ihrem Portfolio, auch Irene von Albertis „Der lange Sommer der Theorie“.

Dass die beiden immer öfter als Produzenten in Erscheinung treten, hat nicht zuletzt mit der schwierigen deutschen Förderlandschaft zu tun. Schlaich musste das gerade wieder erfahren, sein vierter Film „Naomis Reise“ kam unter erschwerten Bedingungen zustande. Finanziell sprang „Das kleine Fernsehspiel“ ein, obwohl Schlaich nach drei Förderungen eigentlich nicht mehr infrage kam. Er konnte die ZDF-Redaktion noch überzeugen, das Thema besitzt eine Aktualität.

Einblick in die Abgründe deutscher Bürgerlichkeit

„Naomis Reise“ ist ein Gerichtsdrama, doch in der Verhandlung geht es nicht mehr um die Schuldfrage – der deutsche Angeklagte ist erwiesenermaßen für den Tod seiner peruanischen Frau verantwortlich. Sondern um die Beweggründe für die Tat: Kann man dem Täter ein rassistisches Motiv nachweisen? Die Mutter und Naomi (Scarlett James), die Schwester der Ermordeten, sind angereist, um dem Prozess am Berliner Strafgericht beizusitzen. Sie erleben eine Lektion in deutscher Rechtsprechung. „Ich wollte mal zeigen, wie so ein Prozess wirklich abläuft“, erklärt Schlaich. „Es ist ein Blick auf unsere Justiz, auf die nur selten jemand genau schaut. Eigentlich war der Film noch stärker als Versuchsanordnung angelegt.“ Denn das klassische Gerichtsdrama sehe eigentlich immer falsch aus, meint er. Die Zeugen sitzen zum Publikum, alles sei dramatisiert, damit es gut aussieht.

Die Gerichtsszenen in „Naomis Reise“ überzeugen durch eine formale Strenge, die Juristen werden von echten Richtern und Staatsanwälten gespielt. Im Verlauf der Verhandlung gewährt der Film, der auf einem wahren Fall basiert, einen Einblick in die Abgründe deutscher Bürgerlichkeit: Männer, die in Südamerika auf Brautschau gehen. „Hat er uns gerade mit Insekten verglichen?“, fragt Naomi den Übersetzer ungläubig nach einer Zeugenaussage. Ihm sei klar, dass ethische Aspekte juristisch keine Rolle spielen, sagt Schlaich. „Aber die Dinge, die bei so einem Prozess zur Sprache kommen, kann man ja sonst kaum aussprechen."

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Schlaich hat früher viel in afrikanischen Ländern gearbeitet. Sein erster Film „Paul Bowles – Halbmond“ (1995), entstand in Marokko, er hat auch Regie-Workshops im Tschad, in Äthiopien und Palästina gegeben. Aber in seinen eigenen Filmen interessiert ihn die umgekehrte Perspektive: Wie nehmen Menschen aus diesen Ländern Deutschland wahr? „Otomo“ von 1999 basiert ebenfalls auf einem wahren Fall. Ende der Neunziger tötet ein ivorischer Asylbewerber in Stuttgart bei einer Personenkontrolle zwei Polizisten. Schlaich rekonstruiert die letzten Stunden des Ivorers.

„Es gab damals keine objektive Berichterstattung. Dass Polizisten starben, war ein Tabu, darum hat sich niemand für das Leben dieses Menschen interessiert." Er ergänzt noch, dass es ihm nicht in erster Linie darum gehe, Rassismus anzuprangern. Sein Thema sei vielmehr die Migration. Man müsse sich als Deutscher immer vor Augen halten, dass man das Privileg habe, sich frei in der Welt zu bewegen. „Viele Menschen können das nicht.“

Ein Blick in fremde Welten werfen

Schlaich verlegt die Filme von einem Maniac wie Schlingensief und von Pasolini, er produziert Formalisten wie Angela Schanelec und Heinz Emigholz. Hat er sich je gefragt, warum seine eigenen Filme dagegen so konventionell ausfallen? Schlaich muss lachen: „Das ist mein ewiger Konflikt.“ Er komme ja meist über das Thema zu seinen Filmen, recherchiere vorab viel. Das beeinflusst dann automatisch auch die Form. „Davon hab ich mich noch nicht befreit.“

Die Ironie, dass sein Freund Schlingensief, die Filme, die Schlaich macht – politisch immer auf der richtigen Seite –, zu Lebzeiten stets kritisiert hat, ist ihm bewusst. „Christoph war viel mutiger als ich, deswegen schätze ich seine Arbeiten auch so. Aber natürlich stelle ich mir die Frage, wen ich mit meinen Filmen erreichen möchte.“ Filmemachen bedeute für ihn, einen Blick in fremde Welten zu werfen. Am Abend nimmt er an einem Publikumsgespräch mit zwei Richtern teil. Allein wegen solcher Begegnungen lohnt sich für Schlaich die Arbeit. Das Selbstverständnis der Juristen hat ihn während der Dreharbeiten an „Naomis Reise“ schwer beeindruckt. Auch das erzählt letztlich einiges über Deutschland.

„Naomis Reise“ läuft in den Berliner Kinos Central und Moviemento.

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