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Man sieht sich immer zweimal. Woody und Porzellinchen.

© Disney/Pixar

„Toy Story 4“ im Kino: Midlife-Crisis im Kinderzimmer

Nach der #MeToo-Affäre bei Pixar: „Toy Story 4“ rückt eine selbstbestimmte weibliche Figur in den Fokus. Woody und Buzz Lightyear sind natürlich auch dabei.

So ein Spielzeugcowboy ist nicht zu beneiden. Sobald ein Mensch in der Nähe ist, muss Woody schlaff in sich zusammenfallen und sein Plastiklächeln aufsetzen. Das geheime Leben der Spielzeuge soll schließlich auch im vierten Teil von „Toy Story“ verborgen bleiben. Dabei sieht es tief drin in dem Männchen mit Hut und Kuhfleckenweste ganz anders aus.

Den Wechsel von seinem früheren Besitzer Andy zur kleinen Bonnie hat er ja noch verkraftet. Auch als Porzellinchen, eine Schafhirtin aus Porzellan und seine heimliche Liebe, ein neues Zuhause findet, nimmt er das hin. Doch jetzt muss er erkennen, dass er von Bonnie nicht mehr gebraucht wird. „Seinem Kind“, wie er sie nennt, sind andere Spielzeuge wichtiger geworden. Es droht die Midlife-Crisis im Kinderzimmer.

Wie es sich für die Animationsfilmreihe aus dem Hause Pixar gehört, fährt "Toy Story 4" zweigleisig. Die Kids können sich über Slapstick-Einlagen und Popo-Witze freuen, die Eltern können Filmzitate erraten und ihre Furcht vor dem Loslassen vom eigenen Nachwuchs auf der Leinwand gespiegelt sehen.

Unter der animierten Oberfläche geht es um große Themen

Als der Plastikcowboy das Mädchen heimlich in die Vorschule begleitet, wird er Zeuge, wie Bonnie aus Abfallresten einen neuen Spielgefährten bastelt. Forky – eine Kombi aus Plastikbesteck, Pfeifenreiniger und Eisstiel – ist sofort ihr ein und alles. Der improvisierte Geselle versteht sich aber gar nicht als Spielzeug, sondern als Müll. In jeden Abfalleimer, den er entdeckt, stürzt er sich fröhlich hinein. So macht es Woody zu seiner Aufgabe, Bonnies Liebling vor einem Ende im Müllschlucker zu bewahren. Das wird eine echte Herausforderung, als die Familie mit dem Wohnmobil verreist – mitsamt all der Spielzeuge, die zu einem „Toy Story“-Film gehören: Buzz Lightyear, dem Dino Rex, Charlie Naseweis und anderen. Bei diesem Abenteuer trifft Woody auch Porzellinchen wieder, die mittlerweile auf eigenen Keramikfüßen steht.

Verantwortung, Loyalität, Freiheitsliebe: Unter der animierten Oberfläche verhandelt der Film die großen Themen. Damit es nicht zu didaktisch zugeht, wird das Publikum im Dauerfeuer mit witzigen Ideen beballert. Zum Beispiel mit einem minutenkurzen Auftritt dreier winziger Soldaten, die in ihrer zackigen Art eine Geburtstagsparty crashen wollen. Zwei von ihnen geben sich ständig Highfives, nur einer bleibt außen vor und hält das Plastikärmchen umsonst in die Höhe. Mit einer verschwenderischen Liebe zum Detail entschärft das PixarTeam jeden Zweifel am Budenzauber. In einer Szene etwa sind die Sohlen an Woodys Stiefeln zu sehen – wunderbar zerschlissen, als hätte der kleine Cowboy darauf endlose Kilometer durch die Prärie zurückgelegt.

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Die Handlung prescht zügig voran und lässt eine kühne Rettungsaktion auf die nächste folgen. Und als einen der ständige Spielzeugwirbel zu ermüden droht, nimmt der Film die Kurve zum gefühligen Happy-End. So geht das im Hollywoodkino – kein Wunder, gehört Pixar doch seit 2006 vollständig zum Disney-Konzern. Lachen, Weinen, Bangen – selbst das Fürchten lehrt der Film die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer, allerdings im erträglichen Maß.

Anders als etwa bei der Neuauflage von „König der Löwen“ geht es den Animatoren nicht darum, dass alles so lebensecht wie möglich wirkt. Auch die menschlichen Charaktere bleiben als Trickfiguren erkennbar, mitsamt Stupsnase und Kulleraugen. Gleichzeitig wirkt das Spielzeug ungemein beseelt. Auf den Gesichtern sind kleinste Regungen auszumachen und die Augen glänzen nicht nur, sie spiegeln sogar die Umgebung wider.

[In 27 Berliner Kinos. OmU: Kino in der Kulturbrauerei, OV: Alhambra, Neukölln Arcaden, Titania Palast, Cinestar SonyCenter, Delphi Lux, Rollberg]

Keine "kreative Stimme" für Frauen und Schwarze bei Pixar?

Regisseur des Films ist Josh Cooley, ein Neuling, der bisher nur als Ko-Autor des Trickfilms „Alles steht Kopf“ auffiel. Zunächst sollte John Lasseter, der Schöpfer der „Toy Story“-Reihe, die Regie übernehmen. Doch gegen den langjährigen Pixar-Chef wurden 2017 Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung laut. Er gestand sie indirekt ein, nahm ein halbes Jahr Auszeit und verließ die Firma schließlich ganz. Auch die ursprünglichen Drehbuchautoren Rashida Jones und Will McCormack sprangen vom Projekt ab. Ihren Schritt begründeten sie damit, dass bei Pixar eine Unternehmenskultur gepflegt werde, in der Frauen und Schwarze keine ebenbürtige „kreative Stimme“ hätten.

Als würden die Verantwortlichen nun fürchten, die Vorwürfe gegen Pixar könnten ein schlechtes Licht auf ihren Familienfilm werfen, rücken sie mit Porzellinchen eine weibliche Figur mit ins Zentrum der Handlung, die selbstbestimmt und wehrhaft auftritt. Schön, wie die Schafhirtin aus Porzellan dem Cowboy, der nur „sein Kind“ Bonnie glücklich machen will, den Reiz der Freiheit vermittelt. Natürlich flammt zwischen beiden die alte Liebe wieder auf. So sehr, dass Porzellinchens Begleiterin, eine Miniatur-Polizistin namens Diggle, sie warnt: „Tu’ dir das bloß nicht an, der Cowboy hat ein Kind.“ Ein Satz, der ziemlich einmalig sein dürfte in der Filmgeschichte.

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