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Szene vom Theaterfestival in Georgien.

© Foto: Ute Büsing

Theaterfestival in Georgiens Hauptstadt Tiflis: „Freiheit ist unsere Verantwortung“

Das bis Ende Oktober laufende Tbilisi International Festival of Theater bemüht sich um neue Positionen in der von Russland bedrohten, zunehmend autoritär regierten Kaukasusrepublik.

Von Ute Büsing

„Unser Weg führt nach Europa“ ist immer wieder beschwörend zu hören. Es ist ein heftiger Kulturkampf entflammt, der vor den Theatern nicht halt macht. „Es geht uns um Freiheit und nicht um einen wohlgefälligen Frieden, der einer Befriedung der gesellschaftlichen Aufbruchsstimmung gleichkommt“, erklärt Data Tavadse vom Royal District Theater in Tiflis.

Tavadse gehört zu den prägendsten Regisseuren des Gegenwartstheaters und hat auch in dessen 15. Jahr am Georgischen Showcase entscheidend mitgewirkt. In einer knappen Woche waren 54 Produktionen aus allen Teilen der Kaukasus-Republik in 21 Spielstätten zu sehen. Damit ist der Künstlerischen Leiterin, Ekaterina Mazmiashvili und ihrem Team ein Festival-Rekord gelungen. Ohne Geld vom Staat, gefördert von der Stadt Tiflis und Sponsoren. Zum ersten Mal richtete sich der Fokus verstärkt auf neue Formen, innovative Spielweisen und eine junge Generation von Theaterschaffenden.

Sponsorengelder sind wichtig

Allenthalben ist Aufbruch spürbar. Ob im Open Space Center auf einer Industriebrache am Stadtrand, wo dezidiert an der Schnittstelle zu Bildender Kunst und Video Programm gemacht wird. Oder im Haraki Theater in der Innenstadt, das sich seit drei Jahren an ein junges Publikum richtet. Oder am Theatre On Atoneli, das erstmals Studierende mit einer Eigenproduktion zum Showcase einlud. All drei Einrichtungen leben von Sponsorengeldern. Das ist Usus bei freien Gruppen und Spielstätten.

Im Gegensatz dazu sind Staatstheater wie das historische Kote Marjanishvili Drama Theater von 1928 üppig ausgestattet. Aber, der Staat in Gestalt der Kulturministerin von der herrschenden Partei Georgischer Traum greift immer heftiger ein.

Wie bereits bei der Leitung des Nationalen Filmcenters und beim Haus der Schriftsteller versucht es, linientreue Administratoren einzusetzen. Der Vertrag von Ekaterina Mazmiashvili, auch Künstlerische Leiterin des Internationalen Theaterfestivals, als Geschäftsführende Intendantin des Kote Marjanishvili Drama Theaters, wurde nicht verlängert. Daraufhin beschloss dessen Künstlerischer Intendant und Hausregisseur, Levan Tsuladze, einer der berühmtesten Theatermacher Georgiens, Umzug und Sprung in die Unabhängigkeit.

Große Teile des Ensembles folgen Tsuladze in die Theatre Factory 42. In einem knappen Jahr entstand mit Hilfe potenter Sponsoren und der Bank auf dem Gelände einer ehemaligen Coca-Cola-Fertigungsanlage ein neues Theater mit 264 Plätzen. Zur großen Eröffnungspremiere mit einer texttreuen Fassung von Shakespeares „Othello“ im Beamer-Licht aufgewühlter See, Vollmond und Erdkugel, erwies die von neuem Theater bewegte Zivilgesellschaft von Tiflis ihre Referenz. In der Theatre Factory 42 entsteht ein georgischer Traum unabhängig von den rückwärtsgerichteten Parolen der gleichnamigen Regierungspartei. Ein Wagnis auch, das keiner der Beteiligten beziffern wollte. Die „Othello“-Vorstellungen sind bis Ende Oktober erstmal ausverkauft.

Die Botschaft: „Das Theater gibt niemals auf!“

Was nach Levan Tsuladzes Abgang aus dem Marjanishvili Staatstheater wird, ist ungewiss. Ein Großteil der Produktionen dort trägt seine Handschrift. So auch Ronald Harwoods britische Backstage-Komödie „Ein ungleiches Paar“ rund um einen alternden Theaterstar, der im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges an der Seite seiner Mitstreiter als „Lear“ den Theaterbetrieb aufrechterhält. Botschaft: „Das Theater gibt niemals auf!“

Darunter ließe sich auch die Neuinszenierung von „König Lear“ am Vaso Abashidze State New Theatre subsummieren. Darin richtet David Doiashvili, Regisseur und bislang unangefochtener Hausherr dieses Staatstheaters, seinen Shakespeare gezielt gegen die aggressiven kulturellen Interventionen der Regierungspartei. In dominantem Blau – der Farbe der Partei des Georgischen Traumes – entfesselt er mit Ölfässern und einem Marionettenregime im Zentrum einen Bühnenkrieg auf Gedeih und Verderb. Lear ist bei Doiashvili ein korrumpierter Machthaber, der im Gespinst verlogener Gesellschaftsentwürfe untergeht.

Der Krieg ist eben nicht vorbei!

Data Tavadse, georgischer Theaterregisseur

„Der Krieg ist eben nicht vorbei!“, unterstreicht Data Tavadse, der durch Radar Ost-Produktionen am Deutschen Theater auch hierzulande bekannt wurde. Er mokiert sich über die neue Tiflis-Werbung „Stadt des Friedens“, wo nahezu allwöchentlich Zehntausende vor dem Parlamentsgebäude gegen staatliche Interventionen in die Kultur wie die Absetzung des Leiters des Tbilisi Filmfestivals, Goethemedaillenträger Gaga Chkeidze und „für eine europäische Zukunft“ demonstrieren.

Nino Haratischwili ist auch dabei

Tavadses Royal District Theater wird zu 40 Prozent von der Stadt und zu 60 Prozent von privaten Sponsoren finanziert. Zum 25. Jubiläum des dezidiert zeitgenössischen Theaters engagierten er und sein Chefdramaturg Davit Gabunia ausschließlich weibliche Leitungsteams. Darunter Nino Haratischwili mit ihrer Antikenüberschreibung „Phädra in Flammen“. Darin geht Phädra ein lesbisches Liebesverhältnis mit Persea, ihrer Schwiegertochter in spe, ein. Wie im antiken Stoff die Bluthunde von der Leine gelassen werden, steht in Haratischwilis Sichtweise für die fortgesetzten Übergriffe religiöser Rechter auf LGBTQ+ Paraden.

Der ukrainische Regisseur Vlad Troitsky stiftet die Art von poetischem Theater-Frieden in Freiheit, die sich viele auch für Georgien wünschen. Der Begründer des ersten unabhängigen ukrainischen Theaters und Initiator der hinreißenden Frauenband Dakh Daughters hat mit dem Ensemble des Vaso Abashidze State New Theatre einen in jeder Hinsicht bemerkenswerten Saison-Höhepunkt entwickelt und in Szene gesetzt.

In „Search of the Lost“ wird einerseits dokumentarisch genau Kriegsschicksalen aus der seit 1994 abtrünnigen, von Russland unterstützten Republik Abchasien und aus der Ukraine nachgespürt und andererseits mit der Rückbesinnung auf georgische Gesänge und Tänze und deren Neuinterpretation hochemotional das (Über-)Leben gefeiert. „Die Kunst ist unsere Waffe“, propagiert Vlad Troitsky. „Die Freiheit ist unsere Verantwortung!“

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