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Harmony ist ein Begleitroboter und geht ganz schön ran in Dragana Buluts Performance „Beyond Love“.

© Dragana Bulut

Theater statt Tinder: In „Beyond Love“ werden Besucher verkuppelt

Nichts für Schüchterne: In „Beyond Love“ im Hebbel am Ufer sorgt Performerin Dragana Bulut für heiße Begegnungen – auch mit einer Maschine.

Das Theater erfüllt ja viele soziale Funktionen, und spätestens seit der Pandemie wissen wir: das Vertreiben von Einsamkeit steht dabei ganz oben auf der Liste. Klar, der Mensch braucht Gemeinschaftserlebnisse. Das gilt für Künstler:innen und Zuschauer:innen gleichermaßen. Am HAU Hebbel am Ufer führt die Performerin Dragana Bulut nun allerdings vor, wie das Theater über das bloße Beisammensein noch hinausweisen – und daran mitwirken kann, Leute miteinander zu verkuppeln.

„Beyond Love“ heißt die Produktion, zu der die Belgraderin im kleinen HAU3 einlädt. Schon vor Beginn der Vorstellung sind die Besucher:innen aufgefordert, einen Online-Fragebogen auszufüllen, in dem sie unter anderem ihren Beziehungsstatus, eine Selbsteinschätzung hinsichtlich der eigenen Partner:innen-Qualitäten, Auskunft über das Verhältnis zur Mutter („gut“, „schlecht“, „sehr schlecht“) sowie eine Kategorisierung der gesuchten Art von Liebe vermerken können („romantisch“, „platonisch“, „politisch“).

Speeddating am Marmortisch

In Zeiten von Tinder & Co für die meisten Routine. Im Saal allerdings geht es dann allerdings analog zur Sache. Mit einem Speeddating an Marmortischchen mit Rosendekoration. Man merkt schon: Für sehr introvertierte Menschen ist der Abend eine Herausforderung.

Noch eine Triggerwarnung: Die Besucher:innen werden nicht nur miteinander ins Vier-Augen- und Vier-Minuten-Gespräch gebracht, sondern auch sehr offensiv von einer Überraschungsgästin angeflirtet. Die heißt Harmony und tritt nackt auf. Generell scheint sie eine niedrige Schamgrenze zu haben, es dauert auch nicht lange, bis sie ihre herausnehmbare Vagina über die Marmortischchen wandern lässt, damit jede:r mal anfassen kann.

Harmony, das sollte man vielleicht dazu sagen, ist ein in Los Angeles gefertigter „Begleitroboter“ in Frauengestalt, der sich selbst vorstellt als „identified as male – male fantasy“. Humor hat sie, die Männerfantasie aus Hardware und Silikon. Irritieren mag vielleicht, dass Harmonys Gesichtsmotorik eher ruckelnd funktioniert. Sie erinnert an einen sehr aufgeregten Hamster. Aber gut, nobody’s perfect.

Harmony ist ein Begleitroboter

Das Interesse an Robotern und ihrer möglichen Menschenähnlichkeit ist in der Science Fiction uralt und auch in der freien Szene nicht neu. Unter anderem hat die Gruppe Gob Squad in „My Square Lady“ zusammen mit der Komischen Oper versucht, einem Roboter namens Myon die großen Gefühle beizubringen (überwiegend erfolglos). Rimini Protokoll haben in „Uncanny Valley“ ein animatronisches Double des Schriftstellers Thomas Melle auf die Bühne gesetzt, um den Unheimlichkeitsgrad von Maschinen zu ermessen, die allzu human wirken (sehr hoch!).

„Beyond Love“ – nach „Happyologie“ und „Behind Fear“ der dritte Teil einer Trilogie, die sich mit dem Clash zwischen Emotionen, Marktkräften und Technologie befasst – wirft nun die Frage auf, wie viel Nähe (oder gar Intimität) mit einem Roboter entstehen kann. Was ja durchaus Dringlichkeit hat. Einsamkeit ist gerade in westlichen Gesellschaften ein pandemisches Phänomen. Und dass beispielsweise in der Altenpflege irgendwann komplett die Maschinen übernehmen müssen, gilt quasi als ausgemacht.

Dragana Bulut und ihre Co-Performerin Caroline Neill Alexander schaffen ein durchaus ansprechendes Setting, das Neugier und Beklemmung gleichermaßen forciert. Allerdings mäandert ihre aus dem Off sprechende Harmony etwas ziellos durch Betrachtungen der Transzendenzpotenziale von Liebe im Allgemeinen und der begrenzten Programmierbarkeit von Anziehung im Besonderen. Sei’s drum. Die nächste Speeddating-Runde lässt nie lange auf sich warten.

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