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Atemlose Hatz. Dirigent Gottfried von der Goltz jagt sein Ensemble.

© A. van der Vegt

Freiburger Barockorchester in Berlin: Telemanns Tafelsilber

Leuchtende Harmonie und große Formvielfalt: Das Freiburger Barockorchester feiert seinen 30. Geburtstag in Berlin mit eigener Konzertreihe.

Das Freiburger Barockorchester hat viele Fans in Berlin, nicht ohne Grund bietet es hier seit vielen Jahren eine eigene Konzertreihe an. Jetzt feiert es 30. Geburtstag mit Telemann, Bach (aber nicht Johann Sebastian!) und Beethoven. Das Programm ist festlich, bietet einen repräsentativen Überblick über das Kernrepertoire. Es verweist aber zugleich darauf, dass der musikalische Kosmos des Ensembles längst über die Barockzeit hinausgewachsen ist. Für so ein Jubiläum darf es dann auch der Große Saal der Philharmonie sein.

Drei Komponisten, drei Werke – und drei Dirigenten, die für verschiedene Epochen der Orchestergeschichte stehen. Petra Müllejans war bis 2017 Konzertmeisterin der Freiburger. Jetzt leitet sie engagiert eine Gruppe von 20 Musikern in der Suite e-Moll aus dem ersten Teil (der ersten „Produktion“) von Telemanns „Tafelmusik“. Diese ist – entgegen ihrem Namen – alles andere als erbaulich-harmlose Hintergrundmusik zum Abendessen, vielmehr selbst der Hauptgang: Telemann demonstriert in einer Abfolge barocker Tänze wie Passepied oder Gigue sein Können, zeigt gewissermaßen das Silberbesteck vor. Deshalb liegt der Schwerpunkt auch weniger auf satzübergreifenden Zusammenhängen als auf möglichst großer Formenvielfalt. Klangschön, transparent, voller Esprit setzen das die Freiburger um, mit zwei Soli-Flöten von Daniela Lieb und Susanne Kaiser, die sich immer wieder markant aus dem Tutti herausschälen.

Kristian Bezuidenhout spielt mit viel Charme

Kristian Bezuidenhout ist frisch gekürter künstlerischer Leiter des FBO. Sitzt er dirigierend am Hammerklavier, muss man aber genau hinhören. Der Klang hebt sich zunächst kaum vom Ensemble ab. Er verschmilzt völlig mit diesem und ist erst nach einer Weile der Eingewöhnung deutlich zu identifizieren. Das hat allerdings viel Charme. Ein moderner Steinway wirkt im Vergleich dazu so dezent wie eine Stalinorgel.

Carl Philipp Emanuel Bach, ältester Sohn von Johann Sebastian, schrieb rund zwei Dutzend „Konzerte für Clavier und Streicher“. Diesem in C-Dur geben die Streicher einen dunklen Anstrich, zu dem der verspielte Solopart des Klaviers kontrastiert. Bach steht hier an der Schwelle vom Barock zur Frühklassik. Er dynamisiert das Erbe seines Vaters, entwickelte es weiter ins Vorwärtsdrängende, darin Beethoven nicht unähnlich.

Vertrackte Vokalpassagen

Der dann nach der Pause auch erklingt, und zwar gleich mit der Apotheose seines Werks: der 9. Symphonie. Vibratofrei gespielt, wirkt sie viel unmittelbarer, direkter, nackter als sonst. Und doch muss an dieser Stelle Wasser in den Festtagswein gegossen werden: Warum diese affenartige Geschwindigkeit? Tempifragen sind bei Beethoven immer kniffelig. Aber was Gottfried von der Goltz, Gründungsmitglied des FBO und langjähriger künstlerischer Leiter, hier vorgibt, ist doch fragwürdig. Als Hörer darf man sich glücklich schätzen, etwa in der „bacchantischen“ (Beethoven) Feier des Scherzo-Satzes den Zipfel einer Phrase zu erwischen, bevor die atemlose Hatz weitergeht.

Erst mit dem Auftritt des prachtvoll dunkel schimmernden Basses von Tareq Nazmi ändert sich das Gesamtbild. Die menschlichen Stimmen retten den Abend, das Solistenquartett (neben Nazmi Anna Lucia Richter, Sophie Harmsen und Julian Prégardien) kommt – innovativer Kniff – erst Sekunden vor dem Einsatz in den Saal und singt die vertrackten vokalen Passagen mit leuchtender Harmonie und Homogenität. Auch der in allen Stimmgruppen vorzügliche Rias Kammerchor lässt ahnen, dass wir hier tatsächlich Schillers „himmlisches Heiligtum“ betreten. Die superschnellen Tempi wirken jetzt anders: als würden sie die Freude, den Jubel bekräftigen.

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