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In der Inszenierung "A Love Supreme" bekommt - wie bei John Coltrane - jeder Solist bekommt seinen Höhenflug.

© Anne Van Aerschot

Tanz-Theater im HAU: John Coltranes „A Love Supreme“ in Bewegung

Anne Teresa De Keersmaeker und Salva Sanchis interpretieren im HAU den Jazz-Klassiker in einer Tanz-Performance.

Von Sandra Luzina

John Coltrane nahm sein Meisterwerk „A Love Supreme“ 1964 in nur einer Nacht auf. Ein spirituelles Erwachen. Anne Teresa De Keersmaeker hat sich von dem Schlüsselwerk zu ihrem gleichnamigen Tanzstück inspirieren lassen. 2005 erarbeitete sie das Quartett mit Salva Sanchis, der früher in ihrer Compagnie Rosas tanzte. Unterstützt von Sanchis wagte sich De Keersmaeker – wie damals Coltrane – auf das Feld der Improvisation.

Zwölf Jahre später nahmen die beiden Choreografen den Faden wieder auf und schrieben das Stück für eine neue Generation von männlichen Tänzern. Nun ist „A Love Supreme“ endlich auch in Berlin zu sehen. Die Aufführung im HAU am Mittwoch beginnt in Stille. Die Tänzer José Paulo dos Santos, Bilal El Had, Jason Respilieux und Thomas Vantuycom führen die Hebe- und Kippfiguren ein, die später noch eine so große Rolle spielen. Dann sammelt sich Vantuycom innerlich, nun allein auf der Bühne, blickt gen Himmel, setzt seine Schritte in verschiedenen Richtungen – ein Suchender. Die Szene bezieht sich auf die Entstehungsgeschichte des Werks. Coltrane hatte sich schon früher der Religion zugewandt. Seine spirituelle Suche gipfelte in dieser Suite in vier Sätzen, die die vier Stationen des Weges zu Gott beschreiben. Sein Solo spannt die Zuschauer auf die Folter, sie wollen endlich die Musik hören. Wenn dann die ersten Töne des Tenorsaxofons erklingen, eine Art Fanfare, ziehen sie einen gleich in den Bann.

De Keersmaeker ordnet jedem Tänzer ein Instrument zu

Die vier Tänzer werden den Instrumenten des Jazzquartetts zugeordnet. Vantuycom übernimmt das Saxofon. John Coltranes Spiel ist virtuos, so leidenschaftlich wie elegant. Die Choreografie will die musikalischen Strukturen sichtbar machen, aber Vantuycom wirkt bisweilen zu wuchtig. Die jeweilige Hauptstimme tritt in den Vordergrund, die Begleitstimmen tanzen mal synchron, mal sind sie ganz individuell gestaltet. Im Mittelteil stürzen die vier sich in den Mahlstrom ekstatischer Klänge. Auch Pianist McCoy Tyner, Bassist Jimmy Garrison und Drummer Elvin Jones haben auf „A Love Supreme“ aufregende Soli. Hier können die Tänzer ihre individuellen Qualitäten demonstrieren, leider ist die Musik manchmal variantenreicher als der Tanz.

Man hat oft den Eindruck, dass die Tänzer sich physisch verausgaben, auch in den groovigeren Momenten. Der letzte Teil „Psalm“ markiert dann eine Wende. Auf einmal wirkt der Tanz emotional aufgeladen. Die Performer heben Vantuycom waagerecht in die Höhe, bis er über den Köpfen zu schweben scheint. Jeder Solist bekommt seinen Höhenflug. Dann wieder kippen, halten und stützen die Männer sich – sie fassen sich an den Händen, bis sich aus Zug und Gegenzug eine Balance herstellt.

Um ein religiöses Glaubensbekenntnis geht es De Keersmaeker und Sanchis nicht, doch vor allem das Ende von „A Love Supreme“ wirkt wie die Vision eines harmonischen menschlichen Miteinanders. Und das kann man durchaus als eine Form der Liebe betrachten.
HAU, bis 21. Dezember, 19 Uhr

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