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Mark Lanegan 2019 auf dem Sonic Temple Art and Music Festival in Columbus, Ohio. Lanegan starb am Dienstag im Alter von 57 Jahren in Irland.

© dpa

Zum Tod des Grunge-Musikers Mark Lanegan: Süßes Vergessen

They could have been bigger than Nirvana: Der großartige amerikanische Grunge-Musiker Mark Lanegan ist tot. Ein Nachruf.

Es war das Jahr 1988, als der Grunge zu seiner ersten Blüte kam. In diesem Jahr erschien bei SupPop nicht nur Mudhoneys ultimative Illness-Hymne „Touch me, I’m sick“, sondern auch auf dem SST-Label das epochale zweite Dinosaur-jr-Album „Bug“ – und ebenfalls bei SST das zu Unrecht nie so epochal gewordene Screaming-Trees-Album „Invisible Lantern“.

Deren Leadsänger, der am Dienstag im Alter von 57 Jahren in Irland gestorbene Mark Lanegan, hatte damals schon den Blues, den andere sich erst noch im Verlauf ihrer Karrieren erarbeiten mussten, da war sehr früh einiges an Gold mit drin in der röhrenden Grunge-Krächzstimme des 1964 in Ellensburg, Washington als Sohn eines Lehrerehepaars geborenen Musikers.

Was gar nicht glauben konnte, wer die Screaming Trees in jener Zeit einmal auf einer kleinen Bühne wie beispielsweise der im Berliner Ecstasy in der Hauptstraße gesehen hat: Umrahmt von den schwergewichtigen, die üblichen Holzfällerhemden tragenden Gebrüdern Van und Gary Lee Connor an Gitarre und Bass stand Lanegan hungerhakengleich und vollkommen in schwarz gekleidet mit seinen langen blonden Haaren schlackernd am Mikrofon und schien überhaupt nur stimmlich Halt zu finden.

Mit "Nearly Lost You" hatten die Screaming Trees einen Hit

Aber nicht nur Mark Lanegans raumgreifende Stimme zeichnete die Musik der Screaming Trees aus: Die Gitarrenakkorde der in Seattle beheimateten Band waren perlender, fließender, wärmer als die anderer Grungebands, die Siebzigerjahre-Wucht war weniger ausgeprägt, und Melodien waren ausdrücklich zugelassen. Man könnte mit den britischen Television Personalities auch sagen: They could have been bigger than Nirvana. Dem war aber nicht so, was zu einer der häufig vorkommenden Ungerechtigkeiten der Popgeschichte gehört, trotz eines für jene Zeit und für viele Grungebands typischen Karriereverlaufs.

Auch die Screaming Trees landeten bei einem Majorlabel, veröffentlichten mit „Uncle Anesthesia“ und „Sweet Oblivion“ umwerfende, geradezu smarte Grunge–Alben und hatten mit „Nearly Lost You“ gar einen Hit. Was nicht zuletzt daran lag, dass dieses Stück eines der besten von „Singles“ war, dem Soundtrack zu Cameron Crowes romantischer Slacker-Komödie.

In jener Zeit hatten Lanegans vielfältigen Drogenprobleme begonnen, unter anderem finanzierte ihm Ende der neunziger Jahre Courtney Love eine Entzugstherapie. Der Drogenkonsum hielt ihn allerdings nicht davon ab, sich auch solo auszuprobieren und vor sich hinzuwerkeln.

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Mit Hilfe von Kurt Cobain, dem legendären Jack Endino und Nirvanas Bassist Krist Novoselic hatte er 1990 mit „The Winding Sheet“ ein erstes Soloalbum veröffentlicht (zwei Songs darauf singt er mit Cobain, darunter „Where Did You Sleep Last Night“), mit im Nachhinein wirklich wunderschönen Songs wie „Wild Flowers“ oder „I Love You Little Girl“.

Ein paar Jahre später ließ Lanegan dem mit „Whiskey For The Holy Ghost“ ein erstes Meisterwerk mit klassischen, auf einem Blues-Schema bauenden Songs folgen, dominiert von seiner gefühlt tatsächlich wie in Nikotin und Whiskey gebadeten Stimme.

Schaut man sich an, mit wem Mark Lanegan nach dem Split der Screaming Trees und ihrem letzten, leidlich erfolgreichen Album „Dust“ alles zusammen gearbeitet hat, liest sich das wie ein Who-is-Who des Großrocks und Indiepops: Er spielte mit dem Alice-in-Chains-Sänger Layne Staley bei der Supergroup Mad Season oder heuerte bei einer anderen, bekannteren namens Queens Of The Stone Age an.

Lanegan schrieb auch für Marianne Faithfull

Er arbeitete mit Greg Dulli von den Afghan Whigs, ließ P. J. Harvey für sich singen, lernte Isobel Campbell von der schottischen Band Belle and Sebastian kennen, mit der er mehrere sehr schöne Alben zusammen aufnahm, und schrieb Songs für Marianne Faitfull, eine seiner Heldinnen.

Lanegan war so umtriebig, dass man sich bisweilen wünschte, er würde sich mit seiner grandiosen, jedem Song unweigerlich seinen Stempel aufdrückenden Stimme etwas zurückhalten. Doch wie das so ist: Musik war seine erste Liebe, seine ewige Leidenschaft, er hatte nunmal nichts anderes gelernt.

Und schrieb dann mit „Sing Backwards And Weep“ erst eine Autobiografie und vor einem Jahr mit „Devil In A Coma“ eine weitere. Der Grund für das zweite Buch: Er wollte die Erfahrung mit seiner schweren Covid-Erkrankung in Worte fassen. Woran er jetzt in Irland, wo er mit seiner Frau lebte, gestorben ist, wurde bislang nicht bekannt.

Es scheint jedenfalls nach dem Suizid von Kurt Cobain 1994 und den Toden von Layne Staley 2002, Scott Weiland (Stone Temple Pilots) 2015, und Chris Cornell (Soundgarden) 2017, ein Fluch auf dieser Generation von Grunge-Musikern zu liegen. Wie schrieb es Lanegan einmal: „Kurt war wie ein kleiner Bruder, Layne wie ein Zwilling für mich“.

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