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Ingo Metzmacher.

©  Harald Hoffmann

Deutsches Symphonie-Orchester: Süße Flucht in den Himmel

Musikalisches Mahnmal: Ingo Metzmacher dirigiert beim DSO Schostakowitsch' "Babi Jar"-Sinfonie und Musik von Olivier Messiaen.

Darunter tut Ingo Metzmacher es nicht. Für seine Rückkehr ans Pult des Deutschen Symphonie-Orchesters hat der ehemaliger Chefdirigent ein Programm höchster Ansprüche und tiefster Einsichten gewählt. Dmitri Schostakowitschs 13. Sinfonie „Babi Jar“ ist bewegendes klingendes Denkmal für die 1941 in der gleichnamigen Schlucht bei Kiew ermordeten Juden, das ihnen als steinernes Mahnmal erst 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion, gewährt wurde. Der Komponist vertonte Gedichte Jewgenij Jewtuschenkos, die das Mitleiden mit den Verfolgten und Misshandelten, das Aufbegehren gegen Unterdrückung und Kriecherei als „wahres Russentum“ beschwören. Wie Opernszenen, erinnernd an die von Stalin verunglimpfte „Lady Macbeth von Mzensk“, entfalten sich die einzelnen Stationen. „Es steht kein Denkmal über Babi Jar“ singt Mikhail Petrenko wie ungläubig fragend über sachten Kontrabasslinien – zur Entstehungszeit des Werkes 1961 sollte die Schlucht mit 33 000 Leichen zugeschüttet und planiert werden.

Eine sarkastisch-scharfe Ode

Metzmacher vermeidet von Anfang an jedes glocken- oder blechbläsergeschwängerte Pathos, wodurch grelle Ausbrüche umso nachhaltiger wirken. Die Männerstimmen des Rundfunkchors Berlin geben – wie in Bachs Passionen – zunächst die blutrünstigen Volksmassen, bevor sie sich zum nachdenklichen Kommentator des Sängers wandeln. Der beeindruckt mit wunderbar geführtem Bass, der über ein reiches Ausdrucksspektrum von heftiger Anklage über weiche bis zu schattenhaft flüsternden Tönen auch noch in hohen Registern verfügt. Sarkastisch-scharf die Ode an den subversiven „Witz“, beklemmend die vielfachen Facetten der angeblich ausgerotteten „Angst“ – beide Autoren fielen nach der Uraufführung zunächst in Ungnade. Schostakowitsch benennt Elend und Grauen, das sich in Metzmachers spannungsvoller Diskretion in alle Sinne schleicht.

Olivier Messiaen setzt kurz vor Kriegsende die Schönheit entgegen. „Trois petites liturgies de la présence divine“ („Drei kleine liturgische Stücke über die Gegenwart Gottes“) feiern in glühenden Farben die göttliche, allumfassende Liebe. In reinster Intonation erklimmt der Rundfunk-Frauenchor mit Solistin Christina Bischoff höchste, schwebende Höhen, denen sich auf sanftem Streichergrund das virtuose Trio von Cédric Tiberghien am Flügel, Holger Groschopp an der Celesta und Nathalie Forget an den Ondes Martenot beimischt. Eine manchmal allzu süße Flucht in himmlische Harmonien, die den Schostakowitsch-Schrecken umso bedrückender erleben lässt.

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