zum Hauptinhalt

Kultur: Suche Frisur, biete Kuchen

Teilen ist das neue Haben: Performancekünstler laden in den Sophiensälen zum Social Muscle Club.

Ein bisschen fühlt es sich hier wie in einer Gartenlaube an. Weiße Plastiktische und Plastikstühle stehen in der Kantine der Sophiensäle, warme Partylichter leuchten. An den Wänden hängen auf Pappe aufgezogene Zettel: „Give – Big American Cake“ oder „Need – A Good Concert“. Später geht Jill Emerson mit Brot, Papptellern und Aufstrichen durch die Reihen, es folgen Schokolade, Weintrauben und Pfirsiche „aus dem Garten meines Mannes“. Ihr Mann, das ist Till Rothmund und zusammen haben sie vor etwa zwei Jahren den Social Muscle Club gegründet.

„Das war das erste Clubtreffen in den Sophiensälen. Vorher haben wir immer in unser Wohnzimmer eingeladen“, erzählt die 35-jährige Performancekünstlerin. Ihr Wohnzimmer liegt am Zionskirchplatz, nur wenige Minuten entfernt vom Forum Café der Weinerei, in dem das Ehepaar jetzt sitzt – ein Ort, der dafür bekannt ist, dass die Gäste so viel für ihre Getränke zahlen, wie sie wollen. Was kann ich geben? Was möchte ich haben? Das sind die beiden Fragen, die im Mittelpunkt jedes Social Muscle Clubs stehen.

Ein Clubabend läuft so ab: Alle Personen an einem Tisch schreiben auf einen Zettel, was sie geben können und was sie haben wollen. Keine leichte Entscheidung. Was ist diese eine Sache, die ich wirklich brauche? Ein festes Einkommen? Eine neue Matratze? Oder jemanden, der eine Woche lang meinen Blumen gießt? Alles ist möglich. Die Zettel kommen in eine Salatschüssel und werden nach und nach wieder herausgezogen und vorgelesen: „Katrin hat drei Liter lila Wandfarbe zu vergeben!“ Wenn sich kein Abnehmer für ein Angebot findet, wird es im ganzen Raum vorgeschlagen. Am Tisch nebenan braucht eine Frau eine Frisur. Schere und Handtuch hat sie dabei. Eine Maskenbildnerin hat einen Haarschnitt zu geben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Es gibt auch ein kleines Animationsprogramm, wie es sich für einen guten Clubabend gehört. Erst spielt eine etwas störrische Jazz-Combo, später treten Performerinnen auf, die für ihr Stück noch einen Namen brauchen. Der Tänzer und Choreograf Jeremy Wade stiftet dem Abend einen Titelsong. Langsam füllt sich der Raum mit einer Mischung aus euphorischen Momenten, herzerwärmenden Überraschungen und dem Gefühl, etwas verändern zu können. Am Ende geht eine Gruppe von 16 Leuten sogar noch in den Weinbergspark, um ihre Wünsche und Angebote an einen Baum zu hängen. Am nächsten Tag sind allerdings alle Zettel weg. „Man kann also in Berlin nicht losziehen und einen Baum zu seinem Baum erklären“, fasst Till Rothmund zusammen.

Ein Auslöser für den Social Muscle Club war für ihn der Dokumentarfilm „Menschen in Sheffield“ von Peter Nestler. Darin organisieren ein paar Arbeiter Clubabende, deren Erlös in eine gemeinsame Versicherung geht. „Das hat mich inspiriert zu diesem Prinzip, dass man zusammenkommt und feiert und sich gleichzeitig gegenseitig ermächtigt – unabhängig von gesellschaftlichen Strukturen“, erzählt der 35-Jährige. Auch ganz persönliche Umstände seien Gründe für die Clubgründung gewesen, ergänzt Emerson. „Wir wollten eigentlich nach Los Angeles ziehen, sind dann aber hier geblieben und haben uns all diese Fragen gestellt: Was mache ich? Warum mache ich das? Warum mache ich Kunst? Wir haben auch Hartz IV bezogen, waren komplett pleite. Dann fragt man sich: Was will ich wirklich mit meinem Leben anfangen?“

Während Rothmund aus dem Filmgeschäft kommt, ist Emerson schon lange im Theater zu Hause – als ausgebildete Tänzerin und mittlerweile auch Choreografin. Zuletzt realisierte sie ein Stück mit Obdachlosen, für das sie auch persönliche Grenzen überschreiten musste: „Ich arbeite noch immer daran, mich Fremden auf der Straße zu öffnen und sie nicht zu ignorieren.“

Der soziale Muskel ist oft ein träger. Das zeigt sich auch bei der Einlösung der Tauschgeschäfte nach der Abendveranstaltung. Der Eimer mit der lila Wandfarbe wird nie abgeholt. Der Kuchen nie gebacken. „Wirklich zu geben, was man versprochen hat, das ist der Trainingsaspekt dabei“, sagt Emerson. Das sei auch schon so gewesen, als sich der Club noch in kleinerer Runde in ihrem Wohnzimmer traf.

Dabei reden derzeit auffallend viele über das Teilen: Car Sharing, Food Sharing oder sogar Time Sharing sind die Stichworte. Oft stecken rein wirtschaftliche Gründe hinter den Ideen. Doch auch in der Kunst- und Theaterszene Berlins wird das Thema immer wichtiger. Das zeigen etwa die Diskussions- und Aktionsplattform „Haben und Brauchen“ freier Künstler in Berlin oder die Koalition der Freien Szene. Bei deren erstem Branchentreff waren auch die Macher des Social Muscle Club dabei.

„Es ist toll, dass die Leute aufstehen und sagen: Das ist das, was ich gebe, ich möchte dafür auch etwas haben“, meint Emerson, die nicht viel von Wettbewerb untereinander hält. Ein Faktor, der dabei nie ausgeblendet werden kann, ist das Geld. Aber, meint Rothmund, man müsse auch damit einen neuen Umgang finden: „Gerade in der Kunstszene ist das Denken verbreitet, dass man auf Förderanträge angewiesen ist. Wir fühlen uns abhängig, und das macht uns abhängig.“

Aus der Abhängigkeit helfen, können private Sponsoren. Einer von ihnen berichtet den Tischgesellschaften in den Sophiensälen, dass es ab einem gewissen Einkommen möglich sei, die Hälfte des zu versteuernden Geldes eins zu eins an einen gemeinnützigen Verein zu spenden. Heute Abend stehen viele Veränderungsvorschläge im Raum. Der Rest ist Training. Und wenn die sozialen Muskeln noch immer recht schlaff sind: einfach wiederkommen. Im Sommer soll es zudem ein Festival geben, in dem auch der kommunikative und der nachbarschaftliche Muskel trainiert werden.

Nächster Social Muscle Club: Sophiensäle, 27.11., 20 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false