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Der Filmemacher und Künstler Jürgen Böttcher alias Strawalde.

© Sebastian Grabsch

Strawalde zum 90. Geburtstag: Der sensible Skeptiker

Als Filmemacher heißt er Jürgen Böttcher und erhielt viele Preise. Auch als Künstler unter dem Namen Strawalde. Ein Geburtstagsgruß zum 90..

Vor zwanzig Jahren, zu seinem 70., gratulierte ihm der damalige Bundeskanzler. Erstaunlich, denn Strawalde alias Jürgen Böttcher ist längst nicht so bekannt wie etwa der Maler A. R. Penck, den Strawalde einst unterrichtet hat. Vielleicht gründet seine überaus sympathische Anonymität in der Zersplitterung seines Lebens in mindestens zwei, eher aber vier Bestandteile, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben.

Strawalde, der heute in Berlin lebt und hier seinen 90. Geburtstag feiert, kommt im Sächsischen auf die Welt und studiert bis 1953 an der Dresdner Kunstakademie. Eine Weile ist er als freier Künstler tätig, lehrt auch selbst. Dann folgen ein Regiestudium und die lange Arbeit als Dokumentarfilmer mit Anstellung beim volkseigenen Filmunternehmen Defa. Was keinesfalls heißt, dass Böttchers Arbeit sakrosant war.

Im Gegenteil: Gleich seine ersten Filme wie „Drei von vielen“ (1961), eine Hommage an die künstlerisch tätigen Arbeiterfreunde Peter Herrmann, Peter Graf und Peter Makolies, wird verboten – zuviel Freiheitsliebe, zu antidogmatisch. Er dauert 27 Jahre, bis man ihn auf dem Internationalen Filmfest in Edinburgh sehen kann.

Böttcher lässt sich davon nicht beirren, er dreht Auftragswerke für das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und dokumentiert weiter, wie er den Alltag in seiner leisen Schönheit wahrnimmt. Die anderen Filmprojekte werden genehmigt, das Resultat kommt aber in den Giftschrank. Parallel schafft er sich als Strawalde eine Gegenwelt, in der er allein regiert.

Er huldigt den ästhetischen Oberflächen und der Farbe oder greift auf Vorbilder der Renaissance wie den Maler Giorgione zurück, um dessen schlummernde Venus zu verfremden, gehorcht jedoch keinem Stil. Strawalde switcht je nach Bedarf zwischen figürlicher Darstellung und Abstraktion hin und her.

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Mit beidem hat er sich einen Namen gemacht und ebenso mit seinen Filmen. Böttcher besitzt unter anderem das Filmband in Gold für sein Lebenswerk, den Europäischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm und seit 2001 das Bundesverdienstkreuz. Seine Gemälde sind Teil bedeutender Sammlungen, das Museum Ludwig besitzt ebenso Werke wie die Nationalgalerie oder die Bibliothèque nationale de France. Drei seiner Bilder hat der Deutsche Bundestag angekauft.

Die Selbstgerechtigkeit der Erwachsenen ekelte den jungen Jürgen Böttcher an

Im Mitteldeutschen Rundfunk lief jüngst ein knapp einstündiger Beitrag über Böttcher/Strawalde – ein Künstlername, der sich wie bei Georg Baselitz auf das Dorf bezieht, in dem er aufgewachsen ist. Diese Kindheit, erzählt Böttcher in dem hörenswerten Feature, sei vom Zweiten Weltkrieg ebenso geprägt gewesen wie von einer für ihn unfassbaren Selbstgerechtigkeit der Erwachsenen schon bald nach 1945. Sie habe ihn „angeekelt“ und eine „tiefe Skepsis dem Wohlleben gegenüber“ ausgelöst, nachdem er den „Ungeheuerlichkeiten der Welt“ kurz zuvor ins Auge blicken musste. Das könne man nie vergessen, lautet sein Fazit.

Seine Kunst verrät davon nichts, aber die Sensibilität deutet sich an in dem großartigen Werk an, das der doppelbegabte Künstler über Jahrzehnte geschaffen hat.

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