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Ende einer Ehe. Katharina Kammerloher und Otto Katzameier.

©  Matthias Baus

Staatsoper Berlin: Wenn du geschwiegen hättest

Im Schillertheater inszeniert Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm Salvatore Sciarrinos Musiktheater um einen mörderischen Komponisten.

Der symbolistische Riss in der Wand ist ein vertrautes Theaterzeichen. Dem Zuschauer sagt es, dass eine Geschichte böse enden wird. Dabei geht es am Anfang der Oper „Luci mie traditrici“ (Meine verräterischen Augen) nur um die Liebe zwischen Graf und Gräfin Malaspina und ein Tröpfchen Blut, das die Frau durch einen Rosendorn verliert. In der Inszenierung von Jürgen Flimm an der Staatsoper wird diese Exposition mit liebevoller Übertreibung ausgemalt. Der Graf fällt nicht nur in Ohnmacht, weil er kein Blut sehen kann, sondern stürzt und stürzt. Schwacher Typ. Die Gräfin macht sich an ihr Frühstücksei. Szenen einer Ehe. Schreckliches wird geschehen.

Der Graf nennt sie „meine Liebeshölle“, mio inferno amoroso. Er liebt seine Frau, sieht sich aber gezwungen, sie zu töten, als er erfahren muss, dass sie einen Liebhaber hat, einen namenlosen „Gast“ (l’Ospite). Damit gehorcht der Graf einem Ehrenkodex, den ein übereifriger Diener lostritt, indem er die Affäre verrät. „Ich wäre nicht entehrt, wenn du geschwiegen hättest“, wirft der Herr dem Diener vor. Der Handlung der Oper von Salvatore Sciarrino nach einem Drama von Cicognini liegt eine wahre Begebenheit zugrunde. Ein Kapitalverbrechen, dem die Renaissance-Musikforschung ein Quäntchen Würze extra verdankt.

Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, italienischer Komponist, ist „bekannt durch die Ermordung seiner ersten Gattin Maria und deren Liebhaber (1590)“, laut Lexikon. Da Ehrenmorde unter Adligen nicht gesühnt wurden, konnte er sich zurückziehen, erneut heiraten und wunderbare Madrigale schreiben, der berühmteste der sogenannten Chromatiker.

Bereits 2014 hat Flimm ein Sciarrino-Stück inszeniert - auf der Baustelle der Lindenoper

Diese Musik hat Salvatore Sciarrino, geboren 1947 in Palermo, seit jeher gefesselt. Seine Oper über die historische Dreiecksgeschichte, übertragen auf den Namen Malaspina, kommt 1998 in Schwetzingen heraus, wo 2002 die Uraufführung des „Macbeth“ folgt. Mit letzterem Werk als Highlight der Sciarrino-Pflege an der Staatsoper lockte Flimm 2014 auf die Baustelle Unter den Linden.

In die Zeit des Geschehens, ihren eigenen „Handlungsraum“, führt nun bei „Luci mie traditrici“ eine einstimmig vorgetragene Elegie des französischen Renaissance-Komponisten Claude Le Jeune, die den Verlust der Schönheit thematisiert (vorzüglich gesungen vom Kinderchor der Staatsoper). Nach der Manier Sciarrinos – seiner „Ökologie des Klanges“ – zerrinnt diese chromatische Anverwandlung in drei Intermezzi. Das erste, dominiert von zwei Saxofonen, folgt der Szene des Paares Malaspina am hellen Morgen. Das zweite, nach Ehebruch, Verrat und Erkenntnis der Unausweichlichkeit des Schicksals, löst die melodische Substanz durch Pausen und Geräuschklänge auf, verändert die Charakteristik. Das dritte bedeutet Verlust, Trauermarsch mit großer Trommel vor dem Mord in der Nacht.

David Robert Coleman dirigiert mit meisterlicher Intensität

Der „verfluchte“ Rosendorn, der die Gräfin morgens das Bluttröpfchen gekostet hat, ist in der Hand des Grafen zur Waffe mutiert: „Euch gehört dieser Dorn, ich will euch stechen.“ Morte amorosa.

Vier Protagonisten bezeichnet Sciarrino als Gesprächspartner. Auf der Bühne des Schillertheaters sind sie viel mehr: Flimms Sänger-Darsteller. Otto Katzameier, der Interpret Sciarrinos von höchstem Rang (und auch dessen Macbeth), ist hier der Graf mit seinem wohlklingenden Bariton und für den Komponisten charakteristischen floskelhaften Singen, das ins Nichts zerfällt. Katharina Kammerloher als Gräfin dialogisiert mit ihm, den Gesang ins Fragmentieren, Verzieren, Flüstern treibend. Der Diener Christian Oldenburgs ist eine Komödienfigur von rührender Anteilnahme und quicker Beschäftigungstherapie im Haushalt, sogar als Arzt des kränkelnden Grafen.

Überraschend erscheint die Besetzung des Gastes/Liebhabers mit einer Sängerin statt des üblichen Countertenors: Lena Haselmann, jung, stimmlich engagiert, bringt eine Aura von Cherubino in die zeitenumspannende, im besten Sinn theatralische Konstellation.

David Robert Coleman dirigiert mit meisterlicher Intensität die Staatskapelle in solistischer Formation, die der Partitur mit allen Aspekten der Tonproduktion gerecht wird: dominierende Flöten in den verschiedensten Spieltechniken, Klappen- und Nebengeräusche. Zikaden am Tag, Grillen in der Nacht, langsam wird der Atem ausgehaucht. D Je mehr man ihr zuhört, gewinnt diese Musik an faszinierender Eigenart. Coleman weiß um die magische Unerbittlichkeit leiser Trommelschläge.

Die Tageszeiten, durch Momente sanfter Verdunkelung getrennt, verlegt Flimms Regie in einen Einheitsspielraum, einen Salon im Renaissance-Palast der Malaspinas (Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Birgit Wentsch). Leuchtend dokumentiert eine Uhr Vergänglichkeit, bis am Ende das Zimmer mit allen Möbeln zusammenkracht. Darin herrscht Nervosität, schließlich Angst. Der Graf bringt seiner Frau morgens den Rosenstrauß, an dem sie sich sticht, und wird in der Nacht zum Todesengel mit schwarzen Flügeln.

Auf der Klaviatur der Theatermittel entfaltet Flimm seine Fantasie, so dass Spannung herrscht bis zum larmoyanten Abgang des Grafen: „Lebt wohl, ich werden auf ewig in Qualen leben!“

Wieder am 12., 13., 15. und 16. Juli

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