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Die Dinge finden sich. Installation von Georges Adéagbo im Kindl.

© Georges Adéagbo / VG Bild-Kunst Bonn, 2021 Foto: Jens Ziehe, 2021

Ausstellung im KINDL: Spurensuche des Künstlers Georges Adéagbo

Westafrika, Europa und Neukölln: Der beninische Künstler Georges Adéagbo zeigt eine faszinierende Materialsammlung in Berlin. Ostern ist geöffnet.

„Was ist Kunst? Ein Weg, um mit Ihrem Nachbarn zu sprechen, ohne sein Feind zu werden“, sagt Georges Adéagbo. So hat er auch 2017 eine Ausstellung im Kunsthaus Hamburg betitelt. Kunst als Mittel zur Deeskalation, diese Losung gilt auch jetzt, wenn der 1942 im beninischen Coutonu geborene Künstler mit einer großen Schau in Neukölln Station macht.

Georges Adéagbo, der seit Jahren zwischen Cotonou und Hamburg pendelt, kennt auch Berlin sehr gut. 2006 war er als Gast des DAAD-Künstlerprogramms in der Stadt, lebte in einer Wohnung in Charlottenburg und erlebte das „Sommermärchen“. Sowohl die Erfahrung in West-Berlin als auch die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland haben sich in die große Assemblage eingeschrieben, die Adéagbo jetzt im Kindl Zentrum für Zeitgenössische Kunst zeigt.

Zwei Wochen hat er daran gearbeitet, zwei ältere Werke bilden den Ausgangspunkt der Schau. Aber Adéagbo hat wie immer ein wichtiges Update vorgenommen, um Gegenwart mit Vergangenheit und Zukunft zu verbinden. Das ist seine Spezialität.

Seit fünf Jahrzehnten verwebt Georges Adéagbo kulturelle Artefakte, Kunstobjekte, Flohmarkt-Kitsch, Bücher und Dokumente aus Europa und Westafrika zu raumgreifenden Materialsammlungen. Erst 1994 fand er damit Eingang in den Kunstbetrieb, als ein Kurator in Benin zufällig seine Arbeit entdeckte.

Kolonialismus und Afrika-Klischees

Adéagbo sorgt für Kontakt zwischen den Kontinenten, in dem er auf Verbindungen verweist. Das heißt nicht, dass der Bezug auf Kolonialismus und Afrika- Klischees nicht deutlich werden könnte. Wie in seiner Installation „Der Erforscher und die Erforscher im Angesicht der Geschichte der Erforschung...! Das Welttheater“, die er 2002 bei der Documenta in Kassel präsentierte und die ihm zum internationalen Durchbruch verhalf.

Georges Adéagbo beim Aufbau seiner Installation im Kindl.

© Georges Adéagbo / VG Bild-Kunst Bonn, 2021 Foto: Kindl

Heute ist das Werk in Besitz des Museums Ludwig in Köln, als das Haus es ankaufte, war es das zweite Werk eines afrikanischen Künstlers in der Sammlung.

Adéagbo hat die Documenta-Arbeit damals mit Objekten aus Köln angereichert. So hat er es jetzt auch in Berlin gemacht.

Fundstücke aus der Brauerei

Die Assemblage im Kindl ist mit Fundstücken aus Neukölln angereichert, zum Beispiel mit Biergläsern und alten Fliesenstücken, die sich auf die ehemalige, zum Kunstzentrum umgestaltete Kindl Brauerei beziehen. „Die Dinge finden sich von allein“, sagt Adéagbo am Eröffnungssonntag beim Gespräch im Ausstellungsraum. Mit seinen 79 Jahren ist er voll Energie – und voller Geschichten.

Er zeigt auf eine etwa 30 Zentimeter hohe afrikanische Holzskulptur. „Ihr fehlte ein Glas“, sagt er und schmunzelt. Die Skulptur entschied sich für einen überdimensionalen Bierhumpen, ein Fundstück, das ein Kindl-Mitarbeiter brachte. Nun stehen die afrikanische Skulptur, der Humpen und eine Broschüre über das Sanierungsgebiet Karl- Marx-Straße auf einem orientalischen Teppich in einer wie man denkt, heilsamen Begegnung.

Im besten Fall lernt man von Adéagbo, den Gegenständen zu vertrauen. Die Dinge treten in Kontakt, wenn niemand sich ihnen in den Weg stellt. Die Kunst entfaltet ihre Kraft, wenn man sie lässt. Wenn es nach Adéagbo geht, müsste dieses Spiel, das Zuhören und Geschichtenerzählen gar nicht unbedingt Kunst heißen. Nur tut man sich im Westen wahrscheinlich leichter so.

Anziehung zwischen Kontinenten

Alles hier verweist auf die Anziehung über Kontinente, Zeiten und kulturelle Grenzen hinweg. Seine Recherche in Neukölln führte Adéagbo unter anderem nach Rixdorf, dort untersuchte er die Kolonialgeschichte des Stadtteils, fand auf einem Friedhof Spuren des Gedenkens an deutsche Kolonialsoldaten, aber auch auf die durch deutsche Truppen ermordeten Herero und Nama. Diese widersprüchlichen Zeichen sind Teil der Installation, auch wenn sie nicht offen hervortreten.

[Kindl, Am Sudhaus 3, Neukölln, bis 25. Juli. Nur mit Anmeldung und negativem Corona-Test. kindl-berlin.de]

Was der Künstler mit seiner faszinierenden Materialsammlung außerdem zeigt: Alles ist Migration, Kultur ist niemals statisch, der Austausch zwischen Westafrika und Europa nie einseitig, auch wenn eine Richtung dauernd überhört wird.

Zur aktuellen Diskussion um die Rückgabe der Benin-Bronzen aus dem Humboldt Forum meint Adéagbo, man sollte doch mal fragen, was die Objekte wollen. Vielleicht wollen manche hier noch einen Job erledigen, andere nicht. Aber um die Gegenstände wirken, die Dinge fließen zu lassen, müssten die Menschen wohl erst einmal aus dem Weg gehen.

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