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Dieter Forte

© dpa

Dieter Forte zum 80. Geburtstag: Sprache und Atem

Am vergangenen Sonntag hat der Schriftsteller Dieter Forte seinen 80. Geburtstag gefeiert. Ein guter Anlass, um ihn zu neu entdecken und zu lesen.

Als Dieter Forte zehn Jahre alt ist, liegt seine Welt in Trümmern, seine Heimatstadt Düsseldorf. Darunter auch begraben: das Ich des Jungen, der Forte einst war, mitsamt dessen Stimme. „Diese Bombenangriffe haben mich geprägt für mein Leben“, hat Forte einmal über seine Erfahrungen in der Kriegszeit bekannt. Und in der Dankesrede zur Verleihung des Bremer Literaturpreises 1999 entschuldigte er sich gleich zu Beginn für seine leise Stimme, da seine im Krieg geblieben sei: „Der Krieg und die Überlebenszeit danach nahmen mir den Atem. Die verdrängte Angst, die niemals zu vergessenden Todesmomente sind in der Erinnerung gegenwärtig.“

Seine Stimme aber, so Forte damals, habe er im Schreiben wiedergefunden. So wurde aus ihm nach einer kaufmännischen Lehre schon in jungen Jahren ein freier Schriftsteller, der sich mit Hörspielen sein Geld verdiente, dann als Dramatiker hervortrat und mit dem Stück „Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung“ schlagartig bekannt wurde. Ein Spektakel und ein veritabler Skandal zugleich war dieses Stück: anklägerisch, revolutionär, antikapitalistisch, mit vielen scharfkantigen, szenischen Gegensätzen und genauso polemischen wie witzigen Dialogen Historie und Gegenwart verschränkend. Als Forte anfängt, Prosa zu schreiben, er sich an seine große, sich zum einen über 800 Jahre erstreckende, zum anderen auf die Kriegs- und Nachkriegszeit konzentrierende Romantrilogie „Das Haus auf meinen Schultern“ setzt, später mit „Auf der anderen Seite der Welt“ zu einer „Tetralogie der Erinnerung“ erweitert, ist er schon Mitte 50. Lange glaubte er, nicht fähig und nicht stark genug zu sein, einen so großen, überwältigenden Stoff zu gestalten: „Ich habe das lange zurückgedrängt, mich nicht erinnern wollen (...). Denn das sind ja Stoffe, die einen zerschmettern.“

"Das sind ja Stoffe, die einen zerschmettern

Während Forte im ersten Teil, „Das Muster“, die Geschichte zweier Familien erzählt, die einer italienisch-französischen Seidenweber- und einer polnischen Bergarbeiterfamilie, die aus politischen, religiösen und wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, stehen im zweiten Teil, „Der Junge mit den blutigen Schuhen“ die Erinnerungen an die Schrecken des Krieges im Zentrum.

Dieter Fortes Tetralogie besteht aus den unterschiedlichsten Arten des Erzählens, aus labyrinthischen, spiralförmigen, fragmenthaften, märchenhaften Formen. Und in „Auf der anderen Seite der Welt“ schreibt er nicht nur die Geschichte des zehnjährigen, von einer Lungenkrankheit gezeichneten Jungen fort, sondern die von vielen anderen, die in der Wirtschaftswunderzeit ihr Glück zu machen versuchen oder in ihr Unglück treiben.

Forte orakelte, die deutsche Nachkriegsliteratur werde einst untergehen wie die Titanic

Forte bezeichnet sein Werk als eines, „hinter dessen Sprache ein nicht mehr schilderbares Grauen lauert“. Schreibend ist er stets in diese Sprache hineingegangen, bis hin zu dem Buch „Das Labyrinth der Welt“, das 2013 erschien und keinem Genre mehr zuzuordnen ist. Leider ist Forte nie von einem größeren Publikum entdeckt worden, trotz Bemühens der Kritik. Etwas Ärger schwang wohl mit, als er einmal orakelte, dass die deutsche Nachkriegsliteratur, die Bölls, Johnsons und Grass’ bald untergehen würden wie die Titanic, sich da vieles relativieren werde.

Bevor aber das geschieht, sollten dieser Untergangsprophet und seine große Tetralogie der Erinnerung noch einmal im größeren Maßstab entdeckt werden. Der 80. Geburtstag, den Dieter Forte heute in seiner Wahlheimat Basel feiert, wäre dafür ein guter Anlass.

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