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Specials-Sänger Terry Hall (Mitte) mit Horace Panter (links) und Lynval Golding.

© Josh Cheuse

Specials-Sänger Terry Hall im Interview: „Wir sind in den zweiten Flitterwochen“

Die britische Ska-Band The Specials geht nach 38 Jahren wieder mit einem neuen Album auf Tour. Sänger Terry Hall über die Reunion, Politik und Depression.

Mister Hall, auf dem Album Encore“ sind Sie fast noch politischer als früher – ist das nicht frustrierend, wenn man noch immer gegen Rassismus singen muss?
Sehr frustrierend. Als wir vor 38 Jahren „Ghost Town“ herausbrachten, dachten wir, dass sich das vielleicht irgendwie auf die Zukunft auswirkt, aber das ist nicht passiert. Weil es eben nur eine Platte war. Aber das hat unsere persönlichen Einstellungen nicht geändert. Und als wir uns für das neue Album zusammengetan haben, waren das eben immer noch unsere Themen. Dafür steht der Name Specials, der war für mich immer wichtiger als die einzelnen Mitglieder.

Macht Sie die aktuelle politische Situation in Großbritannien wütend?
Ja, aber ich zeige meine Wut nicht mehr so stark, mit 18 oder 19 sieht man wütender aus. Jetzt bin ich fast 60, man sieht es nicht mehr, doch die Wut ist noch da. Man lernt, sie zu kontrollieren, realistisch zu sein. Als Teenager ist man wirklich naiv, und das ist fantastisch – Naivität wird unterschätzt, sie ist das Beste! Sie verschwindet, wenn man älter wird.

Sind Sie auch privat politisch?
Ja, sehr, auch das hat sich mit dem Altern verändert. In London zum Beispiel gibt es – wie in anderen großen Städten – viele Obdachlose. Darüber kann man sich aufregen, oder man kann etwas tun. Vor 20 Jahren kamen meine Kinder gerade ins Teenager-Alter, und fragten, warum so viele Menschen obdachlos seien. Viele sehen nur, dass Alkohol und Drogen im Spiel seien müssen. Aber meistens fingen diese Schicksale ganz anders an, mit mentalen Krankheiten, das versuchte ich meinen Kindern zu erklären. Und sie verstanden, dass es schnell gehen kann, seine Wohnung zu verlieren, wenn man verzweifelt und allein ist. Dieses Thema finde ich genauso politisch wie Rüstung.

Haben die Specials über einen Brexit-Song nachgedacht?
Wir haben ja „Vote for me“ auf der Platte, darin kommt der Brexit zwar nicht explizit vor, aber wir untersuchen, was es bedeutet, für etwas zu stimmen, ohne sich zu fragen, wieso man das tut. Ich habe früher blind Labour gewählt, das war in unserer Familie einfach so. Über die Jahre habe ich sie mir genauer angeguckt, habe Tony Blairs Kurswechsel erlebt und jetzt Corbyn. Wo er die Partei hinführt, möchte ich nicht sein. Ich finde das Wählen jetzt sehr schwer.

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War Ihnen eigentlich klar, wie viele Specials-Fans es immer noch gibt?
Nein, aber das gibt mir das Gefühl, etwas Gutes gemacht zu haben. etwas, das sich gelohnt hat. Damals habe ich uns als Underground-Band gesehen, wir haben nicht viele Platten verkauft. Unser Vermächtnis wurde aber immer größer und besser.

Dennoch hört man Specials-Songs nie bei Werbekampagnen, oder als Funktionsmusik um eine Jugendszene zu illustrieren – weil Sie die Rechte bewusst nicht dafür freigeben?
Wir besitzen die Rechte nicht, aber unsere Verleger sind eben anständig, sie haben Moral. Ab und an werden wir angefragt, nicht so oft, und dann sagen sie Nein.

Wie kam es dazu, dass die Aktivistin Saffiyah Khan mit einem feministischen Text auf dem Album zu hören ist?
Auf dem Foto von Saffiyah, das um die Welt ging und auf dem sie als Gegendemonstrantin einem schreienden britischen Nationalisten lächelnd die Stirn bietet, trägt sie ein Specials-T-Shirt! Wir haben das gesehen und gedacht: Ist das cool! So eine tolle Reaktion, und das mit 17! Manchmal ist ja Stille eine bessere Protestmaßnahme als Lärm. Jemand wie Trump freut sich zum Beispiel über jede Aufmerksamkeit, jeden Protest gegen ihn. Als wir das Album machten, wollten wir dann, dass Saffiyah dabei ist. Wir selbst können außerdem keinen Song darüber schreiben, wie es ist, als Frau doof angemacht zu werden – sie schon.

Ich mag den 5/4-Song über Depressionen ebenfalls sehr gern ...
Ja, ein sehr kruder Takt, so etwas haben wir noch nie gespielt. Wir wurden unter anderem inspiriert von Gil Scott Heron, wo die großartige Musik eine Art Kulisse ist und der Stimme Raum gibt. Bei gewissen Themen – bei mir Depressionen, bei Lynval der tägliche Kampf gegen Rassismus, bei Saffiyah der Zustand, eine 19-jährige Muslima in Birmingham zu sein – braucht man einen musikalischen Hintergrund, auf der die Stimme Platz hat.

„Breaking Point“ kritisiert die sozialen Medien. Nutzen Sie die nicht?
Ich verstehe, dass man Telefone und Computer braucht, aber das Level, auf dem sich das inzwischen bewegt, ist mir fremd – auf Facebook zeigen die Menschen alles. Mir fehlt das normale Miteinanderreden, egal ob im Zug oder auf der Straße. Das passiert nicht mehr. Die Menschen reden lieber mit ihren Geräten, das hat etwas Verzweifeltes. Auf Facebook gibt es fünf Profile, die vorgeben, ich zu sein, mit einem Foto von mir. Das ist doch surreal!

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Wie sind Sie ursprünglich mit Ska in Kontakt gekommen?
Ich hatte zwei ältere Schwestern, die eine war Mod, die hat mir Soul nahegebracht, die andere war in den späten 60ern Skinhead, kaufte also Trojan-Records-Platten – so hörte ich das Zeug das erste Mal. Außerdem kamen viele meiner Mitschülerinnen und Mitschüler aus Jamaika und die brachten diese Sound Systems mit, wir hörten also die ganze Zeit Reggae und Ska, es wäre gar nicht möglich gewesen, das zu ignorieren. Es war vor allem der Rhythmus, der uns gefallen hat.

Und dann hat die Ska-Revivalszene Punk und Ska gemischt ...
Ja, eine Menge Bands haben damals Punk gespielt. Aber bei den Specials waren so viele sehr gute Musiker – die wollten mehr als nur drei Akkorde spielen. Von vornherein war Musikalität in der Band. Roddy Radiation und ich hatten zwar Punk gemacht, aber Lynval Golding hatte einen Soulhintergrund, Horace Panther kam vom Funk, John Bradbury vom Reggae, Jerry Dammers konnte alles Mögliche – und wir wollten diese verschiedenen Einflüsse drin behalten. Das alles vereint das erste Album.

Wieso war nach zwei Alben für Sie Schluss?
Ich hielt es nicht mehr aus. Wir stritten uns viel innerhalb der Band. Es wäre heuchlerisch gewesen, weiterhin unsere Botschaft von Einigkeit zu verbreiten. Ich suchte nach dem richtigen Moment, um auszusteigen. Der war mit „Ghost Town“ als Finale gekommen. Aber ich dachte nicht: Ich spiele nie wieder mit denen! Ich wusste nur, dass ich eine Pause brauchte. Es ist komischerweise ein bisschen wie bei einer Ehe – und ich habe selbst eine Scheidung erlebt. Man merkt, wenn es vorbei ist. Man kann nicht „nur wegen der Kinder“ zusammenbleiben.

Also haben Sie sich wieder verliebt, um im Bild zu bleiben?
Ja, sozusagen zweite Flitterwochen. Vor elf Jahren sind wir wieder zusammengekommen, ich kam gerade wegen Depressionen aus dem Krankenhaus und wollte, dass wir uns treffen. Ich nahm damals viele Tabletten und sah die Dinge anders – buchstäblich anders, wie Hippies auf Drogen in den 60ern. Aber ich wollte deshalb die Menschen wiedersehen, mit denen ich so viel Zeit verbracht hatte. Ich hatte dieses überschwängliche Gefühl von Liebe.

Und jetzt?
Fühle ich noch genauso, eine blinde Liebe, es ist mir egal, was die anderen denken – ich fühle sie jedenfalls.

Wieso war Jerry Dammers bei den Reunions nicht mehr dabei?
Als wir wieder zusammenkamen, probte Jerry eigentlich auch mit uns. Aber er fühlte sich nicht wohl, er hatte zu wenig Selbstvertrauen, also sagten wir: Wir können ja auch noch einen zweiten Keyboardplayer fragen, dann konzentrierst du dich auf die Orgel. Er hatte aber das Gefühl, das nicht mehr richtig zu können. Ich wünsche mir immer noch, dass er mitspielt.

Wieso zu wenig Selbstvertrauen? Er ist doch ein hervorragender Organist!
Ich weiß auch nicht, das kam plötzlich. Er hat in den letzten Jahrzehnten nur eine Platte gemacht, er hätte viel mehr machen sollen. Seine Ideen sind großartig. Aber er ist ein Kontrollfreak – wenn er denkt, er hat keine Kontrolle mehr, klappt es nicht. Es gab jedenfalls keinen großen Streit mit ihm.

Hören Sie heute noch viel neue Musik?
Nein, ich höre eh nicht mehr so viel Musik. Jacques Brel und Edith Piaf mochte ich immer sehr, meine Eltern sangen deren Songs. So wuchs meine Liebe zur Musik. Ich mag Gypsy-Musik, wegen der Bläser, auch Klezmer. Für mich ist es gar nicht nötig, neue Musik zu entdecken, wenn es immer noch so viele Genres gibt, die ich noch gar nicht kenne.

Hat Sie keine Band Ihr ganzes Leben begleitet?
Nein, aber Musikphilosophen wie Leonard Cohen. Wie er seine Arbeit angeht und zwischendurch einfach für Jahre verschwand, nichts machte – das hat mich beeindruckt. Man muss nicht immer Platten machen. Jeden Tag kommen neue Platten raus, aber nicht alle von ihnen sind es wert...  ich selbst habe zwei Platten herausgebracht, die es nicht wert waren, ich weiß Bescheid.

Welche?
Das zweite The Colourfield-Album zum Beispiel.

Das hab ich...
Das hätte ich nicht rausbringen sollen, es war nicht richtig! Man sollte nichts herausbringen, wenn man nichts hat, über das man reden will.

Ich habe gelesen, dass Sie auch malen...?
Als ich krank war, hab ich meine Stimme verloren, und konnte nicht mehr gehen. Ich lag nur im Bett, und meine Ärztin riet mir zur Kunsttherapie. Nimm doch einfach einen Pinsel, sagte sie, und mal was du fühlst. Das hat funktioniert! Ich mache es immer noch, und seit ich Art Brut und Naive Malerei entdeckt habe, schaue ich mir viele Ausstellungen an, und kaufe auch viel Außenseiter-Kunst, um die Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Eine der Malerinnen, die sehr verstörende Bilder malt, schickte mir eine Zeichnung von sich in einem Büro – man sieht sofort was los ist, dass sie schizophren ist. Das fand ich beeindruckend. Ich schickte ihr Bleistifte zurück.

„Encore“ ist bei Universal erschienen. Konzert: 3. April, Max-Schmeling-Halle

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