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Der junge Anthony Soprano (Michael Gandolfini, links) sucht in seinem kriminellen Onkel Dickie Moltisanti (Alessandro Nivola) einen Vaterersatz.

© Warner Bros.

Sopranos-Prequel "Many Saints of Newark": Die Geschichte des jungen Anthony

David Chase erzählt in „The Many Saints of Newark“ die Anfänge des Sopranos-Imperiums. Michael Gandolfini ist in der berühmtesten Rolle seines Vaters zu sehen.

Von Andreas Busche

Zu den ungelösten Rätseln um David Chase’ HBO-Serie „Die Sopranos“ gehört die Frage, wie ausgerechnet New Jersey, der Fußabtreter von New York City am anderen Ufer des Hudson Rivers, zur Heimat des DiMeo-Imperiums werden konnte. Das Arbeiterklasse-Lokolakolorit mit Autowerkstätten, Stripclubs und gesichtslosen Einkaufszentren hat entscheidend das unglamouröse Bild dieser Mafia-Erzählung geprägt, in der übergewichtige Männer in unvorteilhaften Trainingsanzügen Auftragsmorde erledigen und der Don seine schmutzigen Geschäfte mit der seriösen Fassade der städtischen Müllabfuhr tarnt.

Tony Soprano zählte zu den Säulen der Gesellschaft, auch wenn immer wieder mal die Bundespolizei in seinem Vorgarten stand. In dieser schleichenden Suburbanisierung waren die Vorbilder des organisierten Verbrechens – real (die Clans um Lucky Luciano und Vito Genovese) wie fiktiv (von „Der Pate“ bis „Goodfellas“) – kaum noch wiederzuerkennen. Die Sopranos verkörperten die amerikanische Durchschnittsfamilie, nur eben mit ein paar Leichen im Keller.

Sopranos-Fans können beruhigt sein. Alan Taylors Prequel „The Many Saints of Newark“ kratzt nicht am Mythos der Serie. Showrunner David Chase erhob die sechs Staffeln von „Die Sopranos“ zwischen 1999 bis 2007 zum Goldstandard des seriellen Erzählens; ein einzelner Kinofilm kann allenfalls ein paar neue Facetten zur Geschichte beisteuern. Glücklicherweise will Taylor, der schon in der Serie Regie führte, auch gar nicht mehr:

„The Many Saints of Newark“ erzählt weder die origin story von Tony Soprano noch eine Einwanderergeschichte wie „Der Pate 2“. Die Soprano-Brüder Junior und Johnny Boy (der Vater Tonys) sowie Dickie „Hollywood“ Moltisanti haben New Jersey Ende der sechziger Jahre bereits unter sich aufgeteilt, kleinere Territorialstreitigkeiten mit schwarzen Straßengangs werden resolut beendet.

An der Seitenlinie der Geschichte

„The Many Saints of Newark“ nähert sich dem Sopranos-Epos von der Seitenlinie. Als Erzähler fungiert – gewissermaßen aus dem Grab–Tonys Lieblings- und Problemneffe Christopher Moltisanti, der in der sechsten Staffel in einer denkwürdigen Szene von der Hand seines Onkels den Gnadentod stirbt. Politisch stand New Jersey in den Sechzigern ebenfalls an der Seitenlinie der Geschichte, die Bürgerrechtsbewegung kam dort mit leichter Verspätung an.

Die realen Unruhen in der Stadt Newark im Juli 1967, nach dem zwei Polizisten einen schwarzen Taxifahrer krankenhausreif geprügelt haben, setzen den Ton für den zentralen Konflikt, den der junge Anthony (als Teenager von James Gandolfinis Sohn Michael gespielt) zunächst nur aus der Entfernung beobachtet. Inspiriert von den Black Panthers zieht Harold (Leslie Odom Jr.), der einstige Handlanger des aufstrebenden Dickie Moltisanti Jr. (Alessandro Nivola), mit Unterstützung des legendären Gangsters Frank Lucas seine eigene Organisation auf. Bald rollen nicht nur die Panzer der Nationalgarde durch die Straßen von Newark, auch der Bandenkrieg fordert Opfer.

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„The Many Saints of Newark“, eine Anspielung auf den Familiennamen Moltisanti, ist am ehesten noch eine Coming-of-Age-Geschichte. Johnny Boy Soprano (Jon Bernthal) verbringt einen Großteil von Tonys Kindheit im Gefängnis, sein „Onkel“ Dickie (die genauen Verwandtschaftsverhältnisse klärt auch das Prequel nur unzureichend auf) übernimmt die Rolle des Ersatzvaters. Hin und her gerissen zwischen kleinen Gaunereien – die Kids klauen einen Eiswagen und verschenken ihre Beute an die Kinder der Nachbarschaft – und einer möglichen Footballkarriere, fehlt Tony ein verlässliches männliches Rollenmodell.

Dekonstruktion popkultureller Mafia-Mythen

Mutter Livia (Vera Farmiga) laboriert bereits an einer Depression. Das Newark der siebziger Jahre ist kein guter Ort für weibliches Empowerment. Das gilt auch für Giuseppina (Michela De Rossi), die Dickie Senior (Ray Liotta) als seine zweite Ehefrau nach Amerika bringt. Frisch angekommen, entscheidet sich die italienische Braut gleich mal für den Sohn, dringt aber auch nicht durch den Machismo durch.

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Chase und Taylor legen mit „The Many Saints of Newark“ einen Parcours aus, auf dem zwischen vertrauten Anekdoten und Figuren (Samson Moeakiola und John Magaro als jüngere Inkarnationen von Pussy Bonpensero und Silvio Dante), kleine revisionistische Volten eingebaut sind. Nicht genug, um Sopranos-Fans zu entfremden, aber ausreichend als Rechtfertigung für dieses Prequel, auf das die Welt nicht unbedingt gewartet hat. Die spielerische Dekonstruktion der popkulturellen Mafia-Mythen, die die Serie noch betrieben hat, weicht in „The Many Saints of Newark“ einem grimmigen, fahl ausgeleuchteten Realismus.

Überhöht wird diese gänzlich unnostalgische Inszenierung von Michael Gandolfini, dessen Ähnlichkeit mit seinem 2013 verstorbenen Vater berührend ist. Anthony strahlt noch nicht die physische Dominanz des späten Tony Soprano aus, der 22-Jährige wirkt fast unbeholfen in seinem massiven Körper. „The Many Saints of Newark“ wird die Sopranos-Geschichte nicht fortschreiben. Aber er ist immerhin ein würdiges Memoriam. (Ab Donnerstag in den Kinos)

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