zum Hauptinhalt
Gustave Flaubert lässt grüßen. Mann mit Sonnenschirm.

© Carsten Rehder/dpa

Serie: Farben des Sommers (2): Sonnenbräune

Unser Autor ist Sonnenphobiker - aus dem Urlaub kommt er lieber käsig zurück. Ist er im falschen Jahrhundert geboren? Teil zwei unserer Serie: Farben des Sommers.

Sind Sie rothaarig? Haben Sie auch so empfindliche Haut, mithin ein gespaltenes Verhältnis zur Sonne? Nach dem Motto: „Halb fliehe ich dem Sonnenbrand, halb sink’ ich hin.“ Mussten Sie sich jahrelang mit dem Vorwurf „Spielverderber“ herumschlagen, weil Sie beim Picknick kilometerweit zum nächsten Schattenplatz latschen, während sich die anderen flott ihrer Klamotten entledigen und in der Sonne aalen? Und werden Sie nach drei Wochen in Italien, wegen der unveränderlich weißen Farbe ihrer Haut, gefragt, ob Sie im Urlaub waren? Ob Sie krank sind? Dann geht es Ihnen wie mir.

Im Grunde leben wir in der falschen Zeit. Bis zum Anfang des vorigen Jahrhunderts galt gebräunte Haut als verpönt, die gab es nur bei Bauern, Sklaven, Seeleuten. In den verehrten Romanen (Proust! Flaubert! Mann! Keyserling!) wimmelt es nur so von Leuten, die ihre Haut unter Schirmen, Hüten, Hosen, Röcken und Handschuhen verstecken. Wer ins Strandbad ging, ließ die Badehose zu Hause. Dies Modediktat änderte sich Mitte der 1920er, als Coco Chanel an der Côte d’Azur einmal zufällig ihren Sonnenschirm vergessen haben soll, sich einen Sonnenbrand einfing, sich an sich selbst begeisterte, sagte: „Ich sah aus, als sei ich voller Energie“, und dann Farbe auf den Laufsteg brachte.

Schlimmstenfalls muss Lichtschutzfaktor 50 drauf

Von wegen Energie! Aus der Zeit vor Chanel haben einige Sonnenphobiker und ich einen Kult gemacht. Die wenigen Verbündeten, die ich in jungen Jahren fand, versuchten gar nicht erst, um Bräune zu buhlen. Die positive Kraft der UV-Strahlen, die die Produktion von Glückshormonen ankurbeln soll? Humbug! „Écrasez l’infame!“, zermalmt das Infame, wollten wir all den draußen niederträchtig in der Sonne Brutzelnden mit Voltaire zurufen. Legendär mein alter – nicht rothaariger – Freund A., der es wagte, in voller Montur ins Braunschweiger Kennel-Bad zu gehen, wenn er denn im Juli oder August überhaupt die Wohnung verließ.

Verirrungen der Adoleszenz. Mit derlei Verachtung lässt sich nicht lange durchs Leben gehen, schon gar nicht als Vater, wenn die Kinder am Ostseestrand rufen: „Papa, hierher! Baden! Ball spielen! Eincremen!“ Dem Sonnenflüchtling droht Vereinsamung. Ich habe so, notgedrungen, über die Jahre meinen Frieden mit der Sonne gemacht, gönne mir zwecks Vitamin-D-Bildung auf ärztlichen Rat hin täglich ungeschützt zehn Minuten Sonneneinstrahlung, zwischen elf und 15 Uhr. Schlimmstenfalls muss Lichtschutzfaktor 50 drauf.

Geht auch gar nicht anders. Ich muss es tun. Es steckt in mir drin. Eine Studie soll gezeigt haben, dass gerade Risikotypen mit empfindlicher Haut der Sonne besonders zugewandt seien. Doch bei allen Flirtversuchen mit Cremes, homöopathischen UV-Bädern und mehr – ich komme weiter unverändert käsig aus dem Urlaub zurück. Ich muss unschöne Fragen beantworten. Und ich freue mich heimlich weiter über die vornehme Blässe der Bohemiens in Vorjahrhundert-Romanen.

bisher erschienen: Morgengrauen, 20.6.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false