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Ach, du liebe Doppelhelix! Szene aus „Some Significance“.

© Eva Meyer-Keller

„Some Significance“ von Eva Meyer-Keller: Lasst das Atom in Ruhe!

Performance trifft Wissenschaft: Eva Meyer-Kellers „Some Significance“ in den Sophiensaelen erkundet Phänomene der Physik - mit Äpfeln und Nylonstrümpfen.

Von Sandra Luzina

Ein fallender Apfel, behauptet eine Anekdote, hat den Physiker Isaac Newton zu seinem Gravitationsgesetz inspiriert. Äpfel spielen auch eine zentrale Rolle in Eva Meyer-Kellers Performance „Some Significance“ in den Sophiensaelen. Den Ausgangspunkt bildete die Beschäftigung mit Modellen der Physik, aber auch der Molekularbiologie. Zusammen mit Meyer-Keller gehen Sheena McGrandles, Tamara Saphir und Annegret Schalke unter die Hobbyforscher.

Auf der Bühne sieht man vier Inseln mit Werkzeugen und Haushaltsutensilien. Abstrakte Phänomene der Physik werden hier mit alltäglichen Gegenständen visualisiert. Die künstlerischen Übersetzungen sind oft verblüffend und humorvoll. Manches wie das „Denkrohr“ erinnert an die „Sendung mit der Maus“.

Das Hochkomplexe auf einfache Weise darstellen

Darf man das Hochkomplexe auf ganz einfache Weise darstellen? Auch diese Frage wird aufgeworfen. Wissenschaftliche Modelle versuchen, schwer erklärliche Zusammenhänge zu veranschaulichen. Für Eva Meyer-Keller stellen sie aber keine unumstößlichen Wahrheiten dar, sondern Fiktionen – und Fetische. Das „planetarische“ Atommodell, wonach der Atomkern, eine positiv geladene Kugel, von negativ geladenen Elektronen umkreist wird, kennen die meisten noch aus der Schule. Hier fädeln die Performerinnen Äpfel in die Füße einer Nylonstrumpfhose, binden sich das Gebilde um und drehen sich um die eigene Achse. Sheena McGrandels kreist auf majestätische Weise, andere geraten schon mal ins Trudeln. Aber bestätigt das nicht die bahnbrechende Erkenntnis: Schaut ein Beobachter einem Teilchen zu, dann beeinflusst er dessen Verhalten.

Frauen forschen. Viele der Utensilien stammen aus der Küche. Trauben und Käsewürfel auf Schaschlikspießen werden aufgereiht und aufgehängt – wenn das Mobile sich dreht, lässt es an eine Doppelhelix denken. Wenn das Schalenmodell rekonstruiert wird, mit dem Nils Bohr den Quantensprung dargestellt hat, kommen Teller, Murmeln und ein Scheinwerfer zum Einsatz. Später wird Öl in ein Glasgefäß geschüttet und etwas Pulverkaffee-Granulat oder Essigtröpfchen hinzugegeben. In der Vergrößerung mutet das an wie Einzeller unterm Mikroskop.

Auch Laien werden begeistert

Tamara Saphir spießt dann einen Apfel mit einem Bohrer auf; wenn sich die Frucht dreht, hält sie noch ein Schälmesser dran. Das klappt nicht auf Anhieb – und sieht wie ein Heimwerkerkurs für Frauen aus. Zum Schluss führen die vier ein wirkliches Experiment durch: Sie bauen die „Cloud Chamber“ nach, eine Erfindung des schottischen Physikers Charles Wilson. Die Nebelkammer ist ein einfacher Detektor, in dem hindurchfliegende Teilchen sichtbare Spuren hinterlassen. Bei der Premiere ließen sich zunächst nur wenige Teilchen blicken. Die Zuschauer umringten die Box dennoch mit großem Interesse und harrten geduldig der Erleuchtung.

Eva Meyer-Keller hat sich intensiv mit dem Physiker Alexander Carmele von der TU Berlin ausgetauscht. „Some Significance“ verkündet eine Art fröhlichen Skeptizismus– und stellt auch (selbst-)kritische Fragen: Welchen Fortschritt haben wir erzielt? Stellen wir vielleicht die falschen Fragen? Das kulminiert in dem lustigen Aufruf: Lasst das Atom in Ruhe!

Manche Versuche wirken umständlich. Und nicht alle leuchten unmittelbar ein. Doch insgesamt schaut man den Frauen gerne zu. Eva Meyer-Keller und ihre Mitstreiterinnen verstehen es, auch den Laien zu begeistern. Am Ende ist man immer noch konfus – aber auf einem höheren Level.

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