zum Hauptinhalt
Fest fürs Auge: ein Blick in die Ausstellung "Textildesign".

©  Hans Glawe/Bauhaus-Archiv

Die Ausstellung "Textildesign" im Bauhaus-Archiv: Skulpturen aus Stoff

Die Ausstellung „Textildesign – vom Experiment zur Serie“ im Bauhaus-Archiv wirft einen Blick auf die Zukunft der Kleidung - und fragt, wie wir nachhaltiger mit Rohstoffen umgehen können.

Seide auf Haut, das klingt nach einer sinnlichen Begegnung. Aber Haut und Kasein, das bei der Verarbeitung von Milch entsteht und unter anderem als industrielles Bindemittel eingesetzt wird? Ein Stoff mit Scherben, ein bisschen Schimmelpilzkultur in den Fasern oder bretthartes Plastik als grellbunter Strickfaden?

Es hört sich alles nicht besonders tragbar an. Dabei weist die Ausstellung „Textildesign – Vom Experiment zur Serie“ im Bauhaus-Archiv in die Zukunft unserer Kleidung: Sie erzählt vom bedachten Umgang mit Rohstoffen, natürlichen wie künstlich generierten. Von Ideen, die aus Vorhandenem schöpfen statt immer weiter aus den endlichen Ressourcen. Wo jeder weiß, dass die Herstellung selbst (oder gerade) billigster Baumwolle am Ende eine teure Gleichung ist.

Im Zentrum der visuell anziehenden Schau stehen Studenten und Absolventen der Hallenser Burg Giebichenstein mit Arbeiten, die überraschen und verblüffen. Aus dem Studiengang Textildesign stammen die Exponate in Form von Stoffproben oder tragbaren Prototypen wie einem Morgenmantel von Annegret Lembcke, dessen flammend rot-oranges Muster auch zur Textilskulptur taugen würde. Solche Doppelfunktionen erfüllen viele der Ausstellungsstücke mit ihren gewebten und gedruckten, an abstrakte Bilder erinnernden Strukturen. Flankiert werden sie von Alltagsbekleidung, etwa einem blauen Oberteil, das sich weich und fließend um eine Schneiderpuppe legt. Was die Mikrobiologin Anke Domaske, Gründerin des Labels QMilk für Fasern aus Milch, hier vorstellt, wirkt weit angenehmer, als es das Wort Kasein vermuten lässt. Am ehesten erinnert das Gewebe an feinmaschige Viskose – auch ein Ergebnis chemischer Prozesse, an deren Anfang Holzfasern stehen.

So geht es weiter in der vergleichsweise kleinen, aber aufschlussreichen Ausstellung, die ein Fest für das Auge und zugleich ein Denkanstoß sein will. Der Exkurs führt vom klassischen Kleiderdesign in die größere Welt der textilen Gestaltung. Er umfasst Vorhänge, Wandschmuck oder Farbmuster, die Le Corbusier 1931 für eine Tapetenkollektion kombinierte. Dieser Überblick macht deutlich, weshalb das Bauhaus-Archiv der ideale Ort ihrer Präsentation ist: Hier erlebte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Stoffkunst eine Renaissance. Zugleich wurde sie aufgewertet. Für die Verbindung sorgt eine Blickachse von der Sonder- in die benachbarte Dauerausstellung, wo ein grau-gelber Teppich von Anni Albers hängt. Albers, ab 1931 Lehrerin am Bauhaus, gelang dort ein Spagat: Als freischaffende Weberin entwarf sie Unikate, als praktische Visionärin entwickelte sie Stoffe für die Industrie. Die Ausstellung „Textildesign“ schlägt den Bogen von dort in die Gegenwart, wenn sie die Masterarbeit von Susanne Stern vorstellt. Daraus entstand das Forschungsprojekt „Organic prints“ – eine Kooperation mit Unternehmen, die Sterns Erkenntnisse nutzen, um künftig umweltschonend mit Naturfarbstoffen zu drucken.

Viele Exponate zielen auf das Thema Nachhaltigkeit

Auch darum geht es in der Schau. Ihre optische Wirkung sorgt für die Anziehungskraft, doch ohne den Anspruch auf Weltverbesserung blieben etwa die taschentuchgroßen Stoffe von Svenja Bernhold bloß ein schöner, chromatischer Reigen. Bernhold hat mit Zutaten aus der Natur experimentiert, die der Textilindustrie Impulse für das Färben mit nachwachsenden Rohstoffe geben könnten.

Auch andere Exponate zielen auf das Thema Nachhaltigkeit. Die Neuinterpretation klassischer Designs beispielsweise, wie es sich in den Stoffen des legendären Bonner Bungalow offenbart, den Sepp Ruf 1963 für den Bundeskanzler entwarf. Die robusten Bezüge für Sofa und Sessel wurden vor einigen Jahren erneuert, das Gewebe auf der Basis des Originals rekonstruiert und anschließend in die Kollektion des Herstellers aufgenommen, weil der grobe Wollstoff ein halbes Jahrhundert später wieder en vogue ist.

So weist die Sektion „Archiv“ der Ausstellung auch den gestalterischen Einfällen der Vergangenheit einen Wert zu. Sie fungieren als Speicher für Ideen und Kenntnisse, die zu schade zum Vergessen sind. Man kann Le Corbusiers Tapetenfarben, heute als Teppichware erhältlich, darunter subsumieren. Oder jene traditionelle Technik, die für das flammende Dekor von Annegret Lembckes Morgenmantel verantwortlich ist: Gewebt wurde die Seide von in Aleppo ansässigen Handwerkern, die noch die traditionelle Ikattechnik beherrschen. Ein Projekt, das von der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit unterstützt und innerhalb der Schau unter „Kultureller Transfer“ läuft.

Stefanie Brendel presst aus hauchdünnen Plastiktüten wunderschöne Taschen

Diese Zuweisung gilt allerdings für einen Großteil der Werke. Wenn Sylvia Riegger edles Leinen aufwendig bedruckt, faltet und ihre Masterarbeit „Mitgift“ nennt, bewahrt die Textildesignerin nicht allein handwerkliche Techniken. Sie denkt gleichzeitig über eine verloren gegangene Tradition nach und konzentriert den Gedanken in einer Arbeit mit künstlerischem Anspruch. Genauso findet der Transfer auf professioneller Ebene längst statt. Die Ausstellung demonstriert ihn anhand der Türverkleidung eines Mittelklassewagens aus Kenaffaser, die konkurrenzlos leicht und dennoch stabil ist. Oder mit einem Entwurf der spanischen Designerin Patricia Urquiola, die einen Kindersitz fürs Auto komplett mit Stoff überzieht und in ein skulpturales Gebilde verwandelt. Eine textile Kuschelstation, weil Textiles den Menschen ab seiner Geburt begleitet.

„Textildesign“ ist ein Arsenal des Möglichen und Upcycling eines der spannendsten Kapitel. Hier veredelt Lara Wernert Reste aus der Wollweberei von Burg Giebichenstein durch Nadelfilzen, verpresst Stefanie Brendel die hauchdünnen Plastiktüten für Obst und Gemüse thermisch und gewinnt daraus wunderschöne, transparente Taschen oder schickt Anna Schröder ihre Pilze und Bakterien auf eine Reise über den Stoff, wo sie siedeln und Muster produzieren dürfen, die tatsächlich ästhetisch sind. Obwohl es gewöhnungsbedürftig klingt. Gegenüber zieht ein rückenfreies Kleid in stechendem Orange die Blicke auf sich. Es sieht aus, als hätte man es mit Nadeln Nr. 20 gestrickt, ist aber aus Kunststoff und kommt aus dem Drucker. Sein Designer Janne Kyttanen gilt als „3-D-Guru“, der dem steifen Material im dreidimensionalen Druck zu stofflichen Qualitäten verhilft. Dagegen ist Kasein ein echtes, butterweiches Naturprodukt.

„Textildesign – vom Experiment zur Serie“, Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstr. 14, bis 5. September, Mi–Mo 10–17 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false