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Am Fraenkelufer stehen drei Wohnhäuser nach Entwürfen der Ballers.

© Benedikt Hotze

Sie bauen für die Menschen : Der Große BDA-Preis 2023 geht an Inken und Hinrich Baller aus Berlin 

Nur wenige Architekten priorisieren die Bedürfnisse von Bewohnern, wie das Ehepaar Baller es tut. Damit haben sie sich nicht nur Freunde gemacht. Nun werden sie dafür geehrt.

Die Nachricht, dass Inken und Hinrich Baller mit dem Großen BDA-Preis die bedeutendste personenbezogene Ehrung des Bundes deutscher Architektinnen und Architekten zuteilwird, könnte in Branche auf ein geteiltes Echo stoßen. Denn das Ehepaar Baller polarisiert wie nur wenige andere. Zu postmodern exaltiert, zu pusselig verspielt, urteilten vor allem viele gestrenge Architekten des „steinernen Berlin“, denen sogar retrospektiver Traditionalismus noch lieber ist.

Inken Baller (geb. 1942 im dänischen Tondern) und Hinrich Baller (geb. 1936 im pommerschen Stargard), führten ab 1966 ein gemeinsames und nach 1989 zwei getrennte Architekturbüros in Berlin. Beide gaben als engagierte Professoren jahrzehntelang ihre Ideen an die nächste Generation weiter, Hinrich Baller von 1972 bis 2001 in Hamburg, Inken Baller von 1985 bis 2007 in Kassel und Cottbus.

Jeder Architekt sagt, er baue „für die Menschen“. Verinnerlicht haben dieses Credo die wenigsten. Denn „für die Menschen“ heißt mehrheitlich gegen die herrschenden Verhältnisse, heißt stetiges, nervenaufreibendes Durchsetzen von Bewohnerbedürfnissen gegen einengende Bauvorschriften, eingefahrene Produktionsweisen, uninspirierte Behörden und dominante Geschäftsinteressen von Investoren.

Die Ballers ließen sich nie davon abbringen, das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner in den Vordergrund zu stellen. Dabei sind ihre Konzeptionen, ihre Grundrisse und ihre Gestaltung heute aktueller denn je, in einer Zeit, da angesichts der Wohnraumknappheit jedes freie Grundstück besinnungslos mit öden Blocks zugeklotzt wird. Flexible, unkonventionelle Raumzuschnitte, hier und da sogar mit Höhensprüngen, raumhohe Fensterfronten, ausladende Balkone und Terrassen von üppiger Größe, Grün, das vom Hof die Wände hochwächst, gemeinschaftliche Begegnungsräume, all das, was den Architekturstudenten schon immer gelehrt, aber in der Praxis in weggespart wird, haben die Ballers den Verhältnissen abgerungen.

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Wohnanlagen haben die Ballers entworfen, fast alle in West-Berlin

Ihr Werkverzeichnis listet 22 Wohnanlagen auf, fast alle in West-Berlin, dazu zwei Sporthallen und zwei Kitas. Ihr Bau an der Lietzenburger Straße (1975) gehört zu den elegantesten, noch heute ansehnlichen innerstädtischen Wohnhäusern, die berühmte „Brandwandbebauung am Fraenkelufer“ zu den absoluten Highlights der IBA 1984/87. Üppig bewachsen, sehen die meisten der Bauten, zumindest im Sommer, wie traumhafte Oasen aus. Kaum zu glauben, dass sie fast alles im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus realisieren konnten.

Hinrich Baller war gleichzeitig ein begnadeter Hochschullehrer, dem die Studenten an den Lippen hingen, und praxisorientierter Bauleiter vor Ort. Expressiv auskragende Balkone, Spitztonnendächer, Baller weiß jedes Bauteil rational zu begründen: warum diese Stützen schräg stehen müssen, warum jene Wand gebogen ist, welche Materialersparnis diese geschwungene Dachkonstruktion mit sich bringt und wie er mit einer gefundenen und umgebauten Maschine jene gewölbten Brüstungen betonierte. Rein dekorativ freilich – wenngleich Baller treuherzig auf die Kostenersparnis hinweist – sind die spillerigen Geländer, die fast alle Ballerbauten schmücken, immer mintgrün lackiert, aus dünnen, gebogenen Stahlstäben in ornamentalen, jugendstilähnlichen Formen zusammengeschweißt, irgendwo zwischen Kunst und Kunstgewerbe anzusiedeln. Das war in der hohen Zeit der Postmoderne möglich und blieb ihr Markenzeichen – und für „seriöse“ Architektenkollegen ein No-Go.

Die Ballers sind die legitimen Nachfolger der Protagonisten der organischen Architektur um Hans Scharoun und übertrugen deren idealistische Haltung in die Gegenwart. „Aufmüpfig, fröhlich, sozial und von eigenwilliger Schönheit“, urteilte die BDA-Jury. Wohl wahr. Ihre Bauten haben Gesicht und Charakter – was man von den Banalitäten heutiger Wohnraumproduktion nur selten sagen kann.

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