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In luftigen Höhen. „Soul Chain“ ist der furiose Auftakt einer Tanzreihe mit Stücken von Sharon Eyal und Gai Behar im Kraftwerk Berlin, die bis 16. Januar läuft.

© Andreas Etter

Sharon Eyal im Kraftwerk Berlin: Tanz zwischen Disziplin und Ekstase

Sharon Eyal ist eine der angesagtesten Choreografinnen der Welt. Im Kraftwerk Berlin zeigt sie nun ihre Tanzreihe „This Is Not A Love Show“.

Von Sandra Luzina

Harte Technobeats dröhnen aus den Lautsprechern im Kraftwerk Berlin. Zuerst trippeln zwei Frauen in knappen hautfarbenen Trikots auf Zehenspitzen die Diagonale entlang – ihre Hände liegen auf dem Bauch und bilden eine Raute. Bald füllt sich der Raum mit 17 Tänzerinnen und Tänzern, alle bewegen sich im Gleichtakt, ein Ballettkorps, das mit seiner strengen Disziplin fast schon militärisch anmutet. Und sich dann in eine zuckende Partymeute verwandelt.

Als Berlin-Premiere zeigt Tanzmainz, das zeitgenössische Tanzensemble des Staatstheater Mainz, das Stück „Soul Chain“. Es ist der furiose Auftakt einer Tanzreihe mit Stücken von Sharon Eyal und Gai Behar, die noch bis 16. Januar läuft. Auf die Beine gestellt hat das Programm die Berliner Kunststiftung LAS, die auch die Lichtinstallation des Light-and-Space-Pioniers Robert Irwin im Kraftwerk zeigt.

Sharon Eyal ist derzeit eine der angesagtesten Choreografinnen der internationalen Tanzszene; die großen Ballettkompanien reißen sich um sie. Auch Modelabel wie Dior umwerben sie. Mit ihrem künstlerischen Partner Gai Behar, der als Party-Veranstalter und Kurator multidisziplinärer Kunstevents das Nachtleben in Tel Aviv zu Beginn der 2000er Jahre prägte, entwirft sie Stücke, in denen sich Ballett und Club-Kultur begegnen. Die sinnlich-coole Ästhetik des israelischen Duos kommt auch in Berlin gut an. Die Veranstaltungen im Dezember waren schnell ausverkauft.

In „Soul Chain“ lässt Sharon Eyal die Tänzer:innen erst exerzieren und auf der Stelle marschieren, um die Bewegung dann ins Exzessive zu treiben. Bis die ganze Gruppe in animalische Bewegungen verfällt. Zwischen Disziplin und Ekstase, Nähe und Bedrängnis oszillieren die Tänze. Beides geht fließend ineinander über. Die Choreografin schweißt die Körper zu einer gut geölten Mensch-Maschine zusammen, lässt sie wie ein Schwarm immer neue räumliche Muster bilden. Sharon Eyal verhandelt dabei stets das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft.

Der israelische Komponist Ori Lichtik hat die Techno-Klänge mit Tango Nuevo kombiniert. Paartänze kommen bei Sharon Eyal nicht vor; aber hier vollführen eine Frau und ein Mann einen sehnsuchtsvollen Tanz auf Distanz. Bei den Soli scheinen die Bewegungen direkt aus dem Inneren zu kommen, lust- und qualvoll zugleich erzählen sie von Verlangen und Einsamkeit.

Berlin bleibt im Sharon-Eyal-Fieber

„Soul Chain“ passt sehr gut in die Industriearchitektur des ehemaligen Heizkraftwerks. Sharon Eyal hat es selbst neu arrangiert für den ungewöhnlichen Ort. Das Stück wurde 2018 mit dem Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet und zwei Jahre später auf der Tanzplattform Deutschland gezeigt. Seitdem stehen die Veranstalter Schlange bei Tanzmainz. Das Ensemble gastierte mit „Soul Chain“ in Paris, London und Moskau. Das Stück funktioniere überall sehr gut, aber das Publikum würde an jedem Ort etwas Anderes sehen, erzählt der künstlerische Leiter Honne Dohrmann. In Budapest etwa wurde die Aufführung wegen der betonten Androgynität der Tänzer:innen als sehr gewagt angesehen.

Dohrmann wurde schon sehr früh auf Sharon Eyal aufmerksam – heute hat er drei Kreationen von Sharon Eyal im Repertoire. Das jüngste Stück „Promise“ hatte am 28. November Premiere in Mainz. Der Kunststiftung LAS ist es gelungen, „Promise“ zusätzlich ins Programm zu nehmen (Aufführungen am 15. und 16. Dezember, 20.30 Uhr). Es ist im letzten Winter während des Lockdowns entstanden, sei sehr persönlich und theatral und habe auch einen gewissen Humor, sagt Dohrmann.

Die gute Nachricht für alle, die bislang keine Karten ergattert haben: Die Reihe wird im Januar fortgesetzt. Tickets für die Vorstellungen kommen zeitnah in den Verkauf.

Auch das Staatsballett Berlin tritt im Kraftwerk auf. Es zeigt die Choreografie „Half Life“, die sich zum Renner entwickelt hat (6. und 7. Januar, 20.30 Uhr). Mitte Januar wird dann die von Eyal und Behar 2013 gegründete Tanzkompanie L-E-V erstmals in Berlin auftreten. Sie zeigt alle Stücke der Trilogie „LOV3“ , in der es um unterschiedliche Interpretationen der Liebe geht (13. bis 15. Januar, 20.30 Uhr). Berlin bleibt also im Sharon-Eyal-Fieber.

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