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Shai Wosner

© Marco Borggreve / Festival

Shai Wosner im Konzerthaus: Seeleneinwärts

Fülle an menschlicher Erfahrung: Der israelische Pianist Shai Wosner eröffnet im Konzerthaus das Klavierfestival.

Fast ein Déjà-vu: Mit rundlichem Gesicht, Lockenkopf und schmaler Brille ähnelt Shai Wosner verblüffend „Schubert am Klavier“, wie ihn Gustav Klimt 1899 malte. Zu den Werken des österreichischen Frühromantikers zeigt der aus Israel stammende Pianist eine Affinität, als seien sie ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Vor allem die letzten sechs Klaviersonaten sind für ihn „dicke Romane“, die eine „epische Fülle an menschlicher Erfahrung“ ausbreiten. Glück und Leid, Heiterkeit und Tiefsinn enthält jede der Sonaten a-Moll, D-Dur und G-Dur aus den Jahren 1825-27, mit denen Wosner das Berliner Klavierfestival eröffnet. Eine mutige Entscheidung auch des künstlerischen Leiters Barnaby Weiler, denn diese Musik ist gänzlich unspektakulär, intim und nach innen gewandt. Doch die Schubert-Gemeinde scheint groß zu sein: In Scharen strömen die Zuhörer in den kleinen Saal des Konzerthauses und sparen nicht mit enthusiastischem Applaus.

Wosner entfaltet Seelenlandschaften in poetischer Feinzeichnung, deren zarte Verästelungen von unbestechlicher Klarheit getragen sind. Wie aus dem Nichts erhebt sich das erste Motiv der a-Moll-Sonate, eine zögernde Frage, der schwer lastende Akkorde antworten. Starke dynamische Kontraste geben dem Satz die dramatische Zeichnung. Herzstück des Werkes bilden die Variationen auf das Lied „Tränenregen“ aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“. Das schmeichelt und lockt in Triolen, Trillern, Repetitionen, bis sich die Todessehnsucht des Müllerburschen gerade dann ausspricht, wenn klagendes Moll zu scheinbar tröstendem Dur übergeht. Auch die langsamen Sätze der anderen Sonaten leben von ruhig strömender, melancholisch eingefärbter Liedhaftigkeit, von heftigen Ausbrüchen erschüttert. Mit rhythmischer Flexibilität erzielt Wosner den leicht stolpernden Tanzgestus der Scherzi, während er die Architektur der ausladenden Ecksätze überzeugend zusammenhält und deren unendlich wiederholten Motiven immer neue Ausdrucksfacetten abgewinnt. Am 26. Mai spielt der Pianist die drei großen Sonaten c-Moll, A-Dur und B-Dur aus Schuberts Todesjahr 1828.

noch bis 5. Juni, www.berliner-klavierfestival.de

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