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Kultur: Schwere Stürme

Russische Autoren in der Akademie der Künste.

„Wohin stürmst du, Russland?“, so steht es in schreiend großen, weißen Lettern auf rotem Grund hinter dem Podium in der Akademie der Künste am Pariser Platz. Zum Auftakt der dreitägigen Veranstaltung „Literatura – ein russisch-deutscher Dialog“ versuchen vier russische Autoren Antwort auf diese und einige weitere etwas verschwurbelte Fragen des Berliner Literaturwissenschaftlers Georg Witte zu geben.

Da sind einmal die beiden älteren Autoren Lew Rubinstein und Ljudmila Ulitzkaja. Beide sind klassische Vertreter der Moskauer liberalen Intelligenzia, und entsprechend ist es nur wenig verwunderlich, dass sie Gegenwart und naher Zukunft ihres Landes wenig Positives abgewinnen können. Lew Rubinstein ängstigt sich vor einer nationalistisch-christlichen Melange in Russland; Ljudmila Ulitzkaja warnt vor der Sowjetnostalgie unter der heutigen jungen Generation, die einen „Menschenschlag neuer Sowjets“ hervorbringen könnte.

Die 1981 geborene Natalja Kljutscharjowa kann diesem Diskurs wenig abgewinnen. Die politischen Proteste hätten eben doch zu einem Stimmungswandel geführt, sagt sie, auf der Straße sehe sie „mehr nachdenkliche Gesichter“. Und dann ist da noch der 37-jährige „junge Wilde“ Sachar Prilepin, der der in Russland wohl meistverkaufte Autor seiner Generation ist. Sein Erstling „Sankya“ erschien letztes Jahr auch auf Deutsch. Bissig greift er seine älteren Schriftstellerkollegen an: Die heutige Sowjetnostalgie sei eine Folge des sozialdarwinistischen Liberalismus, dem der Staat in den neunziger Jahren das gesamte Volk aussetzte. Die Mehrheit der Russen, auch der Intelligenzia, sei aber links-konservativ ausgerichtet, und jener Kurs sei unannehmbar geworden. Eine „Linkswende“ sei deshalb möglich und würde auch den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen entsprechen.

Irritiert reagiert das Publikum auf eine Bemerkung von Natalja Kljutscharjowa zur Rolle des russischen Intellektuellen, dessen Verhältnis zum „Volk“ sie wie das eines „weißen Missionars in der Wildnis des Kongo“ beschreibt. Auch diese Äußerung gibt so wie vieles an diesem Abend Einblicke in den innerrussischen Diskurs, der hierzulande weitgehend unbekannt und deshalb oft schwer verständlich ist. Verständlich ist es da, dass der einst in St. Petersburg als Schriftsteller erwachte Ingo Schulze sich begeistert über die Grundsätzlichkeit der an diesem Abend diskutierten Fragen zeigt. „In Deutschland“, sagt Ingo Schulze zum Schluss, „würden sich so verschiedene Leute doch gar nicht an einen Tisch setzen.“ Moritz Gathmann

Samstag, AdK, 18 Uhr: Andrej Bitow, Sachar Prilepin und Julia Kissina.

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