zum Hauptinhalt
Dichtete und agitierte. Wladimir Bukowski.

© Tibor Illyes/dpa

Schriftsteller Wladimir Bukowski ist tot: Quergeist und Symbolfigur des antisowjetischen Widerstands

Wladimir Bukowski widersetzte sich stets dem Kreml - auch um den Preis seiner eigenen Freiheit. Nun ist der Dissident mit 76 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Die kurze Phase des politischen „Tauwetters“, der halbherzigen Liberalisierung nach dem Tod Stalins, war bereits wieder vorüber. Da versammelten sich 1960 allwöchentlich am Rande des Moskauer Zentrums auf dem Majakowski-Platz kleine Gruppen von Menschen, um Gedichte zu rezitieren und zu diskutieren. Es ging um Kunst und Literatur.

Politische Kämpfer waren diese vorwiegend jungen Leute nicht. Die Versammlungen waren dennoch ein unerhörtes Ereignis in einem Land, in dem Texte eigentlich nur öffentlich vorgetragen wurden, wenn sie zuvor offiziell abgesegnet waren. Alles andere wurde von der kommunistischen Führung als Provokation aufgefasst, gefährlich für diejenigen, die sich hervorwagten.

Einer der Organisatoren war damals der Biologie-Student Wladimir Bukowski. Dieser junge Mann, der sich als Lyriker versuchte, sollte in den folgenden Jahren zu einer der Symbolfiguren der antisowjetischen Dissidenz werden. Bukowski war unerträglich für die Mächtigen im Kreml, aber manchmal auch schwer zu ertragen für die Dissidenten wegen seiner radikal kompromisslosen Haltung. In der Nacht zum Montag ist der Bürgerrechtler, Schriftsteller und Publizist 76-jährig in Cambridge gestorben.

Bukowskis Bedeutung für die Dissidenten-Bewegung liegt weniger in seinem literarischen Werk, als in dem furchtlosen Einsatz für die Literaten. Bukowski trat nicht nur auf dem Majakowski-Platz auf, er verbreitete auch neue Bücher aus dem Samisdat oder dem westlichen Ausland.

Oft waren die Kopien kaum lesbar, weil sie nur mit Durchschlägen auf der Schreibmaschine vervielfältigt werden konnten. Auf Besitz und Verbreitung solcher Schriften standen Gefängnisstrafen. 1965 veröffentlichten zwei Schriftsteller, Andrej Sinjawski und Juli Daniel, ihre Werke im Ausland. Dafür wurden sie vor Gericht gestellt und verurteilt.

Die Antwort der Dissidenten war die erste politische Demonstration in der Nachkriegszeit. Am Moskauer Puschkin-Platz forderten die 200 Menschen nicht einmal die Freilassung der Schriftsteller, sondern nur einen offenen und fairen Prozess. Wieder war Bukowski einer der Organisatoren, er wurde verhaftet und in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen.

Künstler im Westen wie Arthur Miller und Dustin Hoffman setzten sich für seine Freilassung ein. Bukowski schmuggelte Jahre später eine 150-seitige Dokumentation in den Westen über den Missbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion, um Andersdenkende mundtot zu machen.

Zum ersten Mal war Bukowski im Juni 1963 wegen des Besitzes und des Versuchs der Verbreitung antisowjetischer Literatur verhaftet worden. Zum letzten Mal ging er im März 1971 ins Gefängnis – wegen „antisowjetischer Agitation und Propaganda“.

Insgesamt verbrachte er in Gefängnissen, Arbeitslagern und in psychiatrischen Kliniken fast zwölf Jahre. Es wären noch mehr geworden, ohne ein denkwürdiges Ereignis im Dezember 1976. Der wieder im Gefängnis sitzende Bukowski wurde nach Moskau gebracht, in ein Passagierflugzeug gesetzt und als einziger ziviler Passagier nach Zürich geflogen.

Dort tauschten die sowjetischen Behörden den antikommunistischen Dissidenten gegen den Führer der chilenischen Kommunisten, Luis Corvalan, aus, der seit dem Militärputsch 1973 von der Junta gefangen gehalten worden war.

Wladimir Bukowski erhielt in Großbritannien politisches Asyl, später wurde er britischer Staatsbürger. Nach dem Ende der Sowjetunion bekam er die russische Staatsbürgerschaft – doch es war nur ein Zwischenspiel. 2014 lehnte die russische Botschaft in London die Verlängerung von Bukowskis Pass ab. Auch in Putins Russland passte dieser Quergeist offensichtlich nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false