zum Hauptinhalt
Verführerisch. Süße Trauben für Superman.

© Bernd Geller

Sommertheater in Brandenburg: Schöne Hölle der Gefühle

Vom Regen ins Refektorium: Das Sommerfestival „Oper Oder Spree“ lädt zu Händels „Orlando“ ins Kloster Neuzelle

Bei den ersten Regentropfen bringen Orchestermusiker reflexhaft ihre Arbeitsgeräte in Sicherheit. Auch sichtbar strapazierte Instrumente wie jene der Mitglieder des Bulgarischen Kammerorchesters leiden extrem unter Feuchtigkeit – und so endet der Versuch, wenigstens den zweiten Teil von Händels „Orlando“ unter freiem Himmel zu spielen, mit einem erneuten Umzug des Publikums vom Kreuzgang des Klosters Neuzelle ins Refektorium.

Das schadet der Musik keineswegs, denn unter dem gotischen Rippengewölbe des ehemaligen Speisesaals klingen Sänger und Orchester deutlich direkter, nicht so diffus wie draußen. Für die Inszenierung von Julia Huebner ist das allerdings eine Katastrophe, denn dem schmalen Spielsteg hinter dem Orchester fehlt die Tiefe der Open-Air-Bühne – dort konnte sich zumindest für eine knappe halbe Stunde ein sehr geschicktes Spiel der Figurenstaffelung entfalten.

Der Ritter Orlando hat sich in Angelica verliebt, die jedoch in Medoro verschossen ist, hinter dem allerdings auch Dorinda her ist. Barockübliche Verwicklungen also, inklusive Wahnsinn und Tod, der sich später als bloß eingebildet erweist und dem glücklichen Ende dann doch nicht im Weg steht. Ganz so simpel, wie die Geschichte heute erscheint, war sie im Barock freilich nicht, denn Händel verstieß gleich gegen mehrere Erzählkonventionen seiner Zeit, um die Figuren in ihre jeweilige Gefühlshölle zu schicken.

Die Emotionen finden ihren Ausdruck in virtuosen Koloraturketten, in der Aufforderung an die Sänger, diese Vorgaben des Komponisten mit ihren eigenen Verzierungen auszuschmücken und so das Publikum in Staunen zu versetzen. Diese Aufgabe überträgt „Oper Oder Spree“ seit dem Jahr 2001 einer Riege junger Sänger, die sich zu Beginn ihrer Karriere präsentieren.

Wer nach Neuzelle fährt, erwartet nicht unbedingt perfekte Gesangsstars, sondern möchte Entdeckungen machen und junge Talente hören. Um ihnen ein professionelles Umfeld zu bieten, verpflichten Nachwuchsproduktionen in der Regel gern einen erfahrenen Dirigenten, der die Teilnehmer routiniert durch die Partitur lotst. In Neuzelle geht man bewusst einen anderen Weg: Der musikalische Leiter wird vom Dirigentenforum des Deutschen Musikrats ausgewählt, das auch Stipendien vergibt. Der russische Dirigent Sergey Simakov erweist sich dann auch als die eigentliche Entdeckung des Abends.

Wenn das Bulgarische Kammerorchester Barockmusik spielt, mögen sich Originalklang-Puristen und Vibrato-Allergiker schon grundsätzlich schwer herausgefordert fühlen. Doch bereits während der Ouvertüre wird klar, dass Simakov ein bemerkenswertes Gespür für Tempo und Kontraste hat, dass er sich nicht mit einem weichgespülten Allzweckklang zufrieden gibt und in der barocken Musiksprache bestens auskennt. In dieser späten Händel-Oper spielt das Orchester eine heimliche, oft unterschätzte Hauptrolle – und Simakov setzt die mal kommentierende, mal unterstreichende Wirkung der Partitur selbstbewusst ins rechte Licht.

Auch die Kommunikation mit den Sängerinnen auf der Bühne funktioniert auf bewundernswert selbstverständliche Weise. Vor allem im Zusammenspiel mit der griechischen Sopranistin Georgia Tryfona führt das zu einer musikalischen Perfektion, die keinen Vergleich scheuen muss. Die Stimme ist ausgeglichen, hat Biss, ohne je scharf zu klingen, die Koloraturen kommen akkurat und zugleich als selbstverständlicher Ausdruck eines tiefen Gefühls, nie als auswendig gelernte Konvention. Mühelos erfüllt sie jeden Ton mit Leben und verblüfft mit höchster Virtuosität.

Vor der imposanten Kulisse der barocken Stiftskirche scheint es, als ließe sich die Zeit durch Musik überwinden, weil die Künste ineinandergreifen. Wer früh genug anreist, kann sich im Museum das Neuzeller Passionstheater anschauen und sich mit dieser einzigartigen Darstellung der Leiden Christi in das barocke Theaterverständnis einstimmen.

Die für hiesige Verhältnisse ungewohnt prächtige Anlage verdankt ihre Entstehung der Tatsache, dass die Gegend lange zu Österreich gehörte und erst spät an Preußen fiel. Am Hochufer der Oder gelegen, überblickt die Anlage die Niederung mit dem rekonstruierten barocken Klostergarten, während westlich der romantische Naturpark Schlaubetal mit Wanderwegen von Wassermühle zu Wassermühle lockt.

Kein Wunder, dass sich alljährlich an die hundert Sängerinnen und Sänger bewerben, um in dieser idyllischen Gegend an der Verbesserung ihrer Fertigkeiten zu arbeiten. Keimzelle der erfolgreichen Unternehmung war ein Sommerkurs der Berliner Gesangsprofessorin Jutta Schlegel, die vor 25 Jahren einige ihrer Studenten an die polnische Grenze lockte. Zehn Jahre später erfolgte der Zusammenschluss mit dem Neuzeller Opernsommer zu „Oper Oder Spree“ – mit Aufführungen in Neuzelle, der Burg Beeskow und in Frankfurt/Oder.

Das Publikum kommt großenteils aus der Region und ist zu Recht begeistert von der Qualität der Aufführung. Nicht nur die überragende Georgia Tryfona wurde vom Leitungsteam gut ausgewählt, auch das restliche Ensemble kann überzeugen, wenn auch mit mancher Einschränkung. Da ist der Bariton Philippe Spiegel, der dem Magier Zoroastro mit gefälliger Phrasierung einige Autorität verleiht, der sich aber mehr rhythmische Kontur gestatten dürfte. Angenehm unauffällig gestaltet Svetlana Zlobina den Medoro, während die Unausgeglichenheit von Anna Carboneras Sopran als allseits umschwärmte Angelica mit wachsender Müdigkeit deutlicher wird.

Astrid Bohm hinterlässt als schwankender Titelheld Orlando einen zwiespältigen Eindruck. Die dramatischen Arien gelingen ihr besser als die ruhigen, ihr verführerischer Mezzosopran verliert gelegentlich das Zentrum, sodass ihre Melodielinien sich im Ungefähren verlieren. Das fällt umso mehr auf, weil der Dirigent bis zur letzten Sekunde das Geschehen präzise steuert. Bis es soweit ist, haben viele Zuschauer allerdings bereits die Heimreise angetreten, denn durch die regenbedingten Ortswechsel zieht sich das Heldenlied vom rasenden Ritter Roland bis Mitternacht. Wer aber ausharrte, feierte das gesamte Ensemble für eine überzeugende Leistung.

In Neuzelle noch bis 13. August, jeweils

20 Uhr; Burg Beeskow: 17. und 18. August;

Frankfurt/Oder: 19. und 20. August. Mehr

Infos unter www.operoderspree.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false