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Expedition ins Offene. Michael (Georg Friedrich) und sein Sohn Luis (Tristan Göbel) geraten immer mehr aneinander.

© Schramm Film/Marco Krüger

„Helle Nächte“ von Thomas Arslan: Schlaflos in Norwegen

Physische Nähe, emotionale Distanz: In Thomas Arslans Familiendrama „Helle Nächte“ versuchen Vater und Sohn, zusammenzukommen.

Thomas Arslan siedelt seine Filme gern an den Rändern der Sprache an. Seit er sich mit der Kreuzberg-Trilogie „Geschwister“, „Dealer“ und „Der schöne Tag“ einen Namen gemacht hat, schickt er seine Figuren zudem auf Expeditionen ins Unbekannte, seien es Goldsucher in Kanada („Gold“), sei es auf dem unwegsamen Gelände des Planeten Familie („Ferien“), den er in „Helle Nächte“ erneut erkundet – diesmal sind es Vater und Sohn.

Nicht dass seine Protagonisten nichts sagten. Aber sie versagen dabei, verpassen und verletzen einander, flüchten in Aggression, in Banalitäten. Das ist manchmal auch für den Zuschauer quälend, genau wie Beziehungsfloskeln im wirklichen Leben. Verständigung, Zugehörigkeit, Empathie – diesem Ziel nähern sich Arslans Helden erst, wenn sie schweigen.

Der Berliner Regisseur, Jahrgang 1962, reizt auch gern Genres aus, kondensiert sie auf ihre Essenz, auf das Wesen des Western in „Gold“, des Krimis in „Im Schatten“ und jetzt des Roadmovies in „Helle Nächte“. Vater und Sohn im Auto, der Schotterweg windet sich auf halber Höhe am Berghang entlang, ein endloses graues Band irgendwo im hohen Norden Norwegens zur Mittsommerzeit. Nebel kommt auf. Über vier Minuten dauert die Nebelsequenz, eine ungeschnittene Einstellung mit Blick auf die Straße, eine Fahrt ins Nichts, ein Vorstoß ins Herz des Schweigens.

Arslan setzt nie auf den Drive einer Handlung

Es ist die Sollbruchstelle von Thomas Arslans achtem Spielfilm: Entweder man gerät in den halluzinatorischen Sog der Szene und lässt zum hell dröhnenden Ambientsound von Ola Fløttum alle Ungeduld fahren – oder man ist genervt. Bei der Weltpremiere im Berlinale-Wettbewerb schieden sich hier die Geister.

Der Plot ist schnell erzählt. Als Protagonist der sogenannten Berliner Schule mit ihren Minimalismen und Stilisierungen setzt Arslan ohnehin nie auf den Drive einer Handlung. Der Berliner Bauingenieur Michael (Georg Friedrich) fährt nach dem plötzlichen Tod des Vaters mit seinem getrennt von ihm lebenden Sohn (Tristan Göbel, bekannt aus „Tschick“) nach Norwegen, wo der Vater zurückgezogen lebte. Nach der Beerdigung verbringen Michael und Luis noch ein paar Tage in der Gegend, zelten, wandern – und verstehen sich nicht.

Vater und Sohn in Einsamkeitsblasen

Ein Triptychon mit abwesenden Vätern. Schon Michael und dessen Vater wussten wenig miteinander anzufangen, die Fremdheit setzt sich fort in der nächsten Generation. Am Anfang ein gesichtsloses Baustellen-Berlin, Michael starrt auf die Monitore im Bürocontainer, der erste Satz an den 14-jährigen Luis nach der Ankunft in Norwegen: „Willst du die ganze Reise über schweigen?“ Sie räumen auf im Haus des Toten, Reste eines Einsiedlerlebens, auf dem Schreibtisch ein Manuskript, 200 Seiten über Tunnelbau, auch Michaels Vater war Ingenieur. Luis mit Kopfhörern auf dem Beifahrersitz, langes Haar, Seitenblicke, Michaels Gesicht im Rückspiegel, angeschnitten, verschattet. Jede Frage nach Luis’ Leben bei der Mutter kontert der mit genervten Gegenfragen. „Was soll das werden, ein Verhör?“

Michael macht Würstchen am Lagerfeuer, Luis lässt Steine hüpfen am See, klassische Vater-Sohn-Sachen. Aber es hilft nichts, sie kommen nicht zusammen. Nach der kurzen Begegnung mit Cecilia aus Oslo, die Luis auf dem Smartphone die Black-Metal-Band Immortal vorspielt, findet der Sohn Wandern erst recht blöd. Nie fragt einer, was er will.

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Die feinfühlige Kamera von Reinhold Vorschneider porträtiert die beiden in ihren Einsamkeitsblasen, vermittelt physische Nähe und emotionale Distanz mit gezielten Schärfen und Unschärfen, in der Enge des Zelts wie im Miet-SUV. „Helle Nächte“ ist auf Cinemascope gedreht, Vorschneider lässt der schroffen Bergregion mit den niedrig hängenden, sich auf die Talsohlen legenden Wolken ihre Eigenart, zwingt sie nicht ins Symbolische einer Seelenlandschaft. Einmal stoppen sie am Straßenrand, ein Holzhaus brennt auf einer Wiese, eine Feuersbrunst mit über dem Dach zusammenschlagenden Flammen. Ein Enigma, einfach so.

„Helle Nächte“ ist nicht zuletzt Georg Friedrichs Film – überhaupt ist 2017 sein Jahr, mit der Hauptrolle in „Wilde Maus“ und dem Deutschen Filmpreis für „Wild“. Michaels Schlaflosigkeit, weil es nie dunkel wird, seine Hilflosigkeit gegenüber dem Sohn, seine Art, immer das Falsche zu sagen und Luis mit Geständnissen über das eigene Versagen zu verprellen: Friedrich macht daraus die berührende Skizze eines Mannes, der aus seiner Haut möchte und es nicht kann. Die Berlinale-Jury verlieh ihm dafür einen Silbernen Bären.

Da materialisiert, da ändert sich etwas

Auch wenn der Rhythmus der Bilder Unwuchten enthält und die Dialoge die heikle Balance zwischen peinlich und tragisch mitunter verfehlen: „Helle Nächte“ ist am Ende mehr als das Tableau einer scheiternden Beziehung. Die Nebelfahrt setzt eine Dynamik in Gang, die den Vater-Sohn-Konflikt zum einen vordergründig zuspitzt, mit Gebrüll und Flucht in den Bergen, und die zugleich auf subtile Weise Sinnlichkeit zutage fördert. Da materialisiert, da ändert sich etwas: Der Wind pfeift, nach den Wolkenschlangen kann man jetzt förmlich greifen, die Kamera kreist obsessiv um Michael. Ein Sturz, ein verletztes Knie, eine scheue Umarmung – und kein Wort fällt dabei.

Väter und Söhne, es ist ein uralter Topos. Erst letzte Woche kam die britische Vater-Sohn-Enkel-Story „Das Gesetz der Familie“ ins Kino, mit Michael Fassbender, Brendan Gleeson und schnellen Autos – hier sind die anwesenden Väter noch schlimmer als abwesende. Thomas Arslan zieht die Entschleunigung der Action vor. Tut immer wieder gut, so eine Sehschule in schnellen Zeiten.

Brotfabrik, fsk am Oranienplatz. Mit engl. UT: Hackesche Höfe, Wolf

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