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Szene aus "The Sequel"

© Ute Langkafel / Gorki

„The Sequel“ am Gorki Theater: Schieflage am Set

Schnell, schlau und urkomisch: Nora Abdel-Maksoud inszeniert ihre Diskurs-Extravaganza „The Sequel“ am Gorki Theater.

„Schweig, privilegierter Mann!“, ruft die Agentin der politischen Korrektheit mit vorgehaltener Waffe. Gerichtet auf einen Kunstprofessor, der von Dolph Lundgren gespielt wird und der das Gemälde eines sechsjährigen Mädchens mit reichlich hochgerutschtem Rock als „verstörend in ihrer Verspieltheit“ verteidigt. Nichts da! „Wir werden den Kanon vaporisieren“, droht die Rächerin, „diese Museumswände werden zu Klagemauern der Unterdrückten!“ Vorbei ist es mit der Deutungshoheit der TWEMs, der „weißen europäischen Männer“. Moment mal, fehlt da nicht das „t“? Richtig, das steht natürlich für „tot“! Schuss und Cut.

Die Szene stammt aus dem Film „1984 – oder die Freiheit zu sagen, dass ein Fledermausmann ein Fledermausmann ist“. Und den wiederum hat sich die Regisseurin und Autorin Nora Abdel-Maksoud für ihr Stück „The Sequel“ im Studio des Gorki Theaters ausgedacht. Es ist tatsächlich eine Fortsetzung, nämlich ihrer Satire „The Making-of“ an gleicher Stelle. Mit der nahm Abdel-Maksoud 2017 das Grusel-Genre des vermeintlichen Blicks hinter die Kulissen ins Visier, wo alle behaupten, eine glückliche Dreh-Familie gewesen zu sein und den am Set wütenden Sexismus, Genie-Kult und Konkurrenz-Kampf mit hohlen Heititeiti-Phrasen überzuckern.

In „The Making-of“ ging es um die feministische Regisseurin Gordon, die den in Bottrop spielenden Action-Heuler „Fledermausmann Rises“ gedreht hat und genau weiß, dass echter Feminismus Kassengift ist („Hässliche, klagsame Akademikerfrauen. Dieses Essstörungsgejaule“). Weswegen sie in die imaginäre Kamera schnarrt: „Ich arbeite wahnsinnig gerne mit Männern. Man spürt einfach die Anwesenheit von Penis.“ Gordon also – von Stella Hilb als Hardcore-Pragmatikerin mit Lachsbrötchen-Fimmel gespielt – verantwortet nun die Fortsetzung „1984 – oder die Freiheit zu sagen, dass ein Fledermausmann ein Fledermausmann ist“. Mit dem Film will sie gegen die Säuberungswelle vorgehen, die über unser Land rollt. Gegen die Diktatur der Politischen Korrektheit, von der sich eine rechte Fraktion tatsächlich bedroht fühlt – und dafür allen Ernstes den Totalitarismus-Kritiker George Orwell einspannt. Big correctness is watching you!

Überheblichkeit der Kulturbetriebs-Blase

In „The Sequel“ verkörpert die Schauspielerin Matteo (Svenja Lisau) das Feindbild der Diskriminierungs-Hysterikerin, die schon ausflippt, wenn der Kollege Dolph Lundgren ihr sagt, dass sie gerade nicht im Fokus, also „nicht scharf“ ist. „Er hat geweinsteint! Ich habe seinen Subtext gehört“, klagt Matteo. Da kann der schwedische He-Man – bei Taner Eahintürk ein muskulär und emotional durchtrainierter Method-Actor – noch so darauf pochen, dass seine Frau „unter meiner Schirmherrschaft eine Kampagne für Geschlechtergerechtigkeit an Actionfilmsets“ leite. Was soll man sagen? Es ist heutzutage eben nie genug! Lundgrens unehelicher, schwäbelnder Sohn Mads zum Beispiel (Eva Bay) sieht sich aufgrund seiner hohen Stimmlage unziemlichen Kastraten-Witzen ausgesetzt und protestiert gegen die „Bassisten“ um ihn herum.

„The Sequel“ ist eine schlaue, schnelle, urkomische Diskurs-Extravaganza. Wie in „The Making-of“ schafft es Abdel-Maksoud, den Irrsinn der gesellschaftlichen Verhältnisse und gleichzeitig die Überheblichkeiten der eigenen Kulturbetriebs-Blase hochzunehmen. Die Schimäre angeblicher Sprechverbote ist ebenso das Ziel des satirischen Sperrfeuers wie der Glaube daran, mit der eigenen Kunst auf der Seite des Guten zu stehen. Überall dort, wo Prätention, Plattitüden und Bierernst wüten, schlägt sie smart und gern auch mal kalauernd zu.

Fortsetzungen sind eigentlich ein Fluch

Diesen absolut bewundernswerten und im Theater selten zu findenden Scharfblick hat Abdel-Maksoud, die ja selbst auch Schauspielerin ist, schon am Ballhaus Naunynstraße gezeigt, mit Stücken wie „Hunting von Trier“ oder „Kings“ – Letzteres eine Parodie auf die tragische Vergeblichkeit, mit Kunst radikal wirken zu können. „The Sequel“ – das in der leinwandmäßig verengten Guckkasten-Bühne von Katharina Faltner mit phantastischem Ensemble abrollt – markiert den Höhepunkt all dieser (selbst)ironischen Don-Quichote-Ritte gegen die künstliche Welt.

Ja, Fortsetzungen sind eigentlich ein Fluch, das weiß auch Regisseurin Gordon, die am Ende des Tages allerdings ihr Apartment auf Ibiza abbezahlen muss. Nora Abdel-Maksoud hebelt das Sequel-Problem lässig aus, indem sie es fortwährend mit thematisiert. Es ist schon beachtlich, auf wie vielen Ebenen gleichzeitig ihr Film-Stück funktioniert, das schlussendlich immer wieder im Theaterbetrieb mit seinen mannigfachen Schieflagen anlandet.

„Der große Max Reinhard hat gesagt“, doziert Dolph Lundgren einmal, „der weiße Schauspieler ohne Akzent ist ein Mann, Mensch, der sich die Kindheit in die Hosentasche gesteckt hat.“ „Und die Schauspielerin?“, fragt Matteo. „Hat seine Hosentasche geflickt. Damit die Kindheit besser hält.“

Wieder am: 1./2.12., 20.30 Uhr

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