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In Ulm versammelt man sich nach dem Tod des Vaters. Hier zu sehen der Ulmer Münster.

© DPA/Karl-Josef Hildenbrand

Gesellschaftsroman: Scheiternde Zaungäste

Die Generation nach ’68: Karl-Heinz Otts ironischer Gesellschaftsroman „Die Auferstehung“. Ein Familientreffen der sanften Versager.

Auf der Schwäbischen Alb überwintern Utopien etwas länger als anderswo. Jedenfalls schleppen die sechs herzensguten Aussteiger und Weltveränderer, die sich an einem Augusttag im Haus ihres verstorbenen Vaters und Schwiegervaters in Ulm versammeln, bleischwere ideologische Altlasten mit sich herum. Uli und Franziska halten seit Jahrzehnten an ihrem mit Hesse und Castaneda aufgepolsterten Traum von der Öko-Utopie fest. Joschi wirft immer noch mit Karl-Marx-Evergreens um sich. Linda, die so selbstbewusst auftretende Kuratorin eines kleinen Kunsthauses, importiert mit ihrem resoluten Lebensgefährten Fred resonanzlos die Avantgarde in die Provinz. Und Jakob, der feinsinnige Kulturjournalist und Fernsehautor, hangelt sich seit Ewigkeiten am Existenzminimum entlang.

Das Familientreffen dieser sanften Versager gerät zu einer Tragikomödie mit groteskem Ausgang. Ihr antibürgerliches Selbstverständnis zügelt jedoch nicht die Gier auf das väterliche Erbe. Die Person, die ihrem Beuteinstinkt im Weg steht, ist „die ungarische Hure“, die Betreuerin des hochbetagten Vaters, die offenbar auch als Liebesobjekt des pornophilen Greises fungierte und sich – so mutmaßen die Nachkommen – den Status als Alleinerbin erschwindelte.

Die tiefe Lächerlichkeit der Helden

Karl-Heinz Ott bevorzugt seit seinem Roman „Endlich Stille“ (2005) meinungsfreudige Protagonisten, die sich in weltanschaulicher Rabulistik ergehen, aber mit ihren klischeeanfälligen Überzeugungen regelmäßig im Bodenlosen landen. So ist auch diesmal all den diskursiven Erhitzungen seiner Helden eine rührende Vergeblichkeit und tiefe Lächerlichkeit eingeschrieben. Sie überbieten sich in der Reanimation alter Ressentiments, hauen sich ihre existenziellen Desaster um die Ohren – und erkennen am Ende, dass sie sich mit all ihren Spekulationen lächerlich gemacht haben. Selbst Jakob, der über weite Strecken als Erzähler firmiert und in der selbstkritischen Erforschung seines verkorksten Lebens weit fortgeschritten ist, vermag sich nicht selbst aus dem Sumpf seiner schlecht bezahlten Journalistenexistenz zu ziehen.

Unerwartete Rückkehr aus dem Totenreich

Seine große Passion ist der Philosoph Blaise Pascal, der den oberschwäbischen Antihelden die Stichworte für ihre verfehlte Existenz liefert: „Was ist der Mensch, fragt Pascal und klagt: Ein Schilfrohr im Wind, das denken kann und über sich selbst nachsinnt, was ihm aber, wenn es geschüttelt und gerüttelt wird, rein gar nichts nützt.“ Pascal, der Erfinder der ersten Rechenmaschine, gab als Dreißigjähriger die Mathematik auf, um sich nur noch religionsphilosophischen Fragen zu widmen. Und sein Adept versinkt nun ebenso in Grübeleien über die letzten Dinge. Am Ende erlebt Jakob das Comeback der religiösen Heilsgeschichte von der „Auferstehung“ als theologische Farce. Denn die verhinderten Erben registrieren zunächst nur die „Auferstehung“ der erotischen Triebkräfte eines weit über achtzigjährigen Mannes. Und am Ende widerfährt ihnen eine unerwartete Rückkehr aus dem Totenreich.

Karl-Heinz Ott hat mit „Die Auferstehung“ das ironische Sittenbild einer Generation der libertären Selbstverwirklicher geschrieben, die für 1968 zu spät kamen und dann nur noch als handlungsarme Zaungäste der Revolte beiwohnten. Seine unglücklichen Helden, die ihm mitunter zur Karikatur geraten, verwechseln Nonkonformismus mit lebenspraktischem Ungeschick. Zwar erkennt man früh, dass die Lebensreise dieser Tagträumer nur blamabel enden kann. Der Spott indes auf die frustrierte Generation der Erben wäre billig. Mancher Leser wird peinlich berührt feststellen, dass er selbst dieser saturierten Spezies angehört.

Karl-Heinz Ott: Die Auferstehung. Roman. Hanser Verlag, 352 Seiten, 22,90 €.

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