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Sammlung Kelterborn: Gangster sein

„Breaking News“: Das Mönchehaus Goslar zeigt die politischen Werke der Frankfurter Sammler Mario und Julia von Kelterborn.

Der Bildschirm ist klein wie ein Blatt Papier, der Film schwarzweiß und körnig. Musik gibt es keine. Dennoch fiebert man mit, wenn Ulay mit seinem Paket unterm Arm aus der Neuen Nationalgalerie rennt und seinen Bulli startet. Es ist 1976, und der Künstler klaut gerade Carl Spitzwegs „Armen Poeten“, um ihn bei einer türkischen Familie in Kreuzberg aufzuhängen. Diebstahl als gefilmte Aktion. Und als Versuch, die Kunst unter (alle) Leute zu bringen.

Die Frankfurter Sammler Mario und Julia von Kelterborn zeigen Ulays Schelmenstück, das in der offiziellen Rückgabe des berühmten Werks gipfelte, in der Ausstellung „Breaking News“. Vom Erdgeschoss bis unters Dach ist das Mönchehaus in Goslar mit Erwerbungen des Paares gefüllt; vor allem Videokunst und Fotografie, aber auch einem Sessel von Clemens Krauss, der die Haut des Künstlers zu tragen scheint. „Selbstportrait als Objekt“ heißt das Werk von 2010 mit seiner rosigen, haarigen Silikonoberfläche, das Ekel und Faszination weckt.

Harun Farocki beschwört die Bilder einer kriegssatten, virtuellen Parallelwelt

Ein Fake und damit willkommen in einer Sammlung, die sich der Komplexität und den Widersprüchen der Gegenwart stellen will. Sie tut das mit Hito Steyerls Videoinstallation „Is The Museum a Battlefield?“ von 2013, vor der man auf – als Barrikaden nutzbaren – Sandsäcken sitzt und der Künstlerin dabei zuhört, wie sie die kulturelle Institution zum politischen Schlachtfeld macht.

Ein monumentales Bild von Thomas Kilpper schürt die Erinnerung an den Sozialarbeiter Günter Sare, der 1985 in Frankfurt während einer Demonstration gegen die NPD von der Polizei überfahren wurde. Und natürlich fehlt auch Harun Farocki nicht mit einer Installation aus seinem filmischen, analytischen Arsenal: „Parallel I-IV“ beschwört auf mehreren Projektionsflächen die Bilder einer kriegssatten, virtuellen Parallelwelt.

Dazwischen stehen zarte Arbeiten. So wie „Love/Hate“ (2016) von Mia Florentine Weiss. Verblüffende Buchstabenkunst, die das gegensätzliche Begriffspaar in einem Wort zusammenzwingt. Alles ist immer beides, Böses nie nur böse und ein echtes Urteil nur möglich, wenn der Richtende alle Perspektiven kennt. Es klingt wie eine banale Wahrheit, gerät in sogenannten postfaktischen Zeiten allerdings oft aus dem Fokus. Das Emotionale, die suggestive Empörung überlagert sachliche Auseinandersetzungen. Kelterborns müssen die Zukunft vorausgeahnt haben, denn die Sammlung konzentriert sich seit zwanzig Jahren auf Kunst jenseits von „Eil- und Sondermeldungen“.

Ein Gangster-Casting in Johannesburg

Auf Arbeiten von Marcel Odenbach und Thomas Locher, Taryn Simon, Richard Mosse oder den Thailänder Korakrit Arunanondchai, dessen Musikvideo „Painting with History“ einen gefühlte Ewigkeiten auf den Sitzkissen davor verharren lässt. Sie alle mobilisieren Kräfte und vertrauen auf die kritisch grundierte Mehrdeutigkeit einer Kunst, die bestenfalls neue Einsichten vermittelt.

Die Ausstellung „Breaking News“ ist ein Beispiel dafür, was es heißt, sich auf andere Perspektiven einzulassen. Etwa auf die von Teboho Edkins. „Gangster Backstage“ hieß das Projekt des Künstlers, für das er 2013 ein Casting in Johannesburg fingierte. Wer will den Gangster spielen? Edkins’ Bewerber brauchten dafür nicht viel Fantasie. Die meisten kommen aus einer Wohnanlage, deren Verwahrlosung und Kriminalität schon die Kinder durchdringt. Im Spiel erzählen die Protagonisten vor allem von sich selbst, Edkins wiederum erzeugt eine unheimliche Nähe: Wäre man anders, wenn die eigenen Umstände ein Leben wie in Ponte City erzwingen würden?

Mönchehaus Goslar, Mönchestr. 1; bis 10.6., Di–So 11–17 Uhr. Am 23.5. um 18 Uhr: Diskussion mit den Künstlern Razieh Akbari, Qasim Alsharqy und Sareh Dianati

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