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Lasst die Vögel frei. Eine Reaktion auf Mozarts „Zauberflöte“ von Yinka Shonibare CBE: „The Bird Catcher’s Dilemma“, 2019–2020, zu sehen in der Salzburger Jubiläumsausstellung.

© Courtesy of the artist and Stephen Friedman Gallery, London, Photographer: Stephen White

Salzburger Jubiläumsausstellung: Stachel im Sitzfleisch

„Großes Welttheater“: Die Ausstellung über 100 Jahre Salzburger Festspiele zeigt neben viel Glanz auch politisches Elend.

Am Vortag ihres 100. Bestehens haben die Salzburger Festspiele ein Memorandum vorgelegt, das sie als Selbstverpflichtung für das 21. Jahrhundert begreifen. Es umfasst zehn Punkte. „Die Salzburger Festspiele müssen nicht immer neu erfunden werden, sie müssen aber immer wieder in eine neue Gegenwart geführt werden“, heißt es darin. Und: „Festspiele werden morgen noch mehr als heute als Wissensvermittler und Weltgedächtnis, als Archiv unserer Welterkenntnis fungieren müssen.“ Statt großer Festlichkeiten, die es in Zeiten der Pandemie nicht geben kann, gibt es gewichtige Worte. In Salzburg will man nicht nur zeigen, dass man mit Kultur Corona trotzen kann, man will auch einen Festspielgeist beschwören.

Am 22. August 1920 hallten zum ersten Mal „Jedermann“-Rufe durch die Stadt. Lange schon hatte man an der Salzach von einem eigenen Festival geträumt und mit Neid nach Bayreuth geschielt, wo es Richard Wagner gelungen war, einen Kult zu begründen. Nicht ohne jeden Grund betrachteten die Salzburger ihr alpenländisches Barockstädtchen als den attraktiveren Ort, an dem mit Mozart der Inbegriff des musikalischen Genius geboren wurde. Seinem Werk sollte ein Festspielhaus auf dem Mönchsberg gewidmet werden. Fellner & Helmer, die erfolgreichsten Theaterarchitekten der Doppelmonarchie, legten dazu 1890 einen Entwurf vor, der nach dem Bayreuther Vorbild die „Gleichwerthigkeit der Sitze“ in einem Amphitheater gewährleisten sollte. 1500 Menschen sollten hier Platz finden, über der Stadt und dem „Getriebe des profanen Lebens“ schwebend.

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Es brauchte aber erst den berühmtesten Theatermann Europas, um Salzburgs Traum Wirklichkeit werden zu lassen. 1918 hatte Max Reinhardt das verfallene Schloss Leopoldskron erworben und es zu einem Treffpunkt von magnetischer Ausstrahlung gemacht. Hier begann eine Inszenierung, die den Alltag abstreifen wollte, eine Feier des Spiels, in dem sich der Mensch vergessen und seiner zugleich neu gewahr werden konnte. Das erste Stück der Festspiele, die aus Gefangenenbaracken gezimmerte Bühne, die aus Gasthäusern herbeigetragenen Stühle – das alles war improvisiert. Und doch war die Zeit reif für Salzburg und seinen Jedermann. Eine Idylle aber war es nicht. Als 1922 das Amt des Präsidenten der Festspielgemeinde frei wurde, notierte Hugo von Hofmannsthal: „Reinhardt zum Präsidenten nehmen diese Spießbürger nie: Sie hassen ihn, hassen ihn drei- und vierfach, als Juden, als Schlossherrn, als Künstler, und einsamen und scheuen Menschen, den sie nicht begreifen.“

Der Traum von Festspielhäusern, der Alptraum einer NS-"Umgestaltungsstadt"

„Großes Welttheater“ heißt die Jubiläumsausstellung, der in der Pandemie-Saison eine Scharnierstellung zufällt. Aus dem zusammengestrichenen Spielplan sind alle Jubiläumsprojekte in die nächste Spielzeit gerutscht, und so fällt der Schau in der Neuen Residenz die Rolle von Archiv und Gedächtnis der Festspiele zu. Auch zeitlich spannt sie einen weiten Bogen, sie wird bis nach Ende der nächsten Saison zu sehen sein und lohnt einen Salzburg-Besuch, auch wenn die Festspielhäuser geschlossen sind. Auf fast 1900 Quadratmetern kann man der Geschichte der Festspiele begegnen, immer wieder etwas vom Zauber ihrer Bühnenwelten erhaschen. Natürlich sind auch die Entwürfe für nicht realisierte Festspielhäuser zu sehen, denen an den jeweils vorgesehenen Orten in der ganzen Stadt künstlerische Interventionen gegenüberstehen.

Weiter als das Mozart-Projekt am Mönchsberg gedieh Hans Poelzigs 1922 vorgestellte Kegelpyramide für 3000 Zuschauende, im Park Hellbrunn wurde zumindest ein Grundstein gelegt. Ein Teil von Poelzigs grandiosem Gebäude läge heute im Nashorngehege des Tierparks. Vom Obersalzberg aus nahm Hitler Salzburg ins Visier und erklärte es zur „Umgestaltungsstadt“. Auf den Höhenzügen des Mönchsbergs sollte das Militär herrschen, auf dem Kapuzinerberg die Partei, mit einem gigantischen Festspielhaus als Abschluss. Die Pläne wirken, als wollten sie ausradieren, wie Max Reinhardt den Festspielgedanken entwickelte. Für ihn war die Stadt die Bühne, nach dem Domplatz entdeckte er die Kollegienkirche und die Felsenreitschule als Spielorte und legte den Grundstein für den Festivalbezirk, in dem Herbert von Karajan 1960 die seinerzeit größte Opernbühne der Welt eröffnete.

Die Ausstellung in der Neuen Residenz nimmt natürlich bei „Jedermann“ ihren Ausgang. Im Innenhof grüßt ein Nachbau der ersten Bühne von 1920, drinnen im Säulensaal kann man sich unter das fotografisch anwesende Premierenpublikum auf Klappstühle setzen und mit einem Film des ORF durch die Geschichte reisen. Der weitere Weg, für den man Zeit mitbringen sollte, hängt ganz vom Temperament des Besuchenden ab. In der ehemals erzbischöflichen Bibliothek kann man sich ins Archiv der Festspiele vertiefen, das für jedes Jahr ein Fundstück in die Vitrine legt. In der ersten liegt Reinhardts Regiebuch, in dem mit vier Farben Anmerkungen zu „Jedermann“-Aufführungen in Berlin, Salzburg und New York festgehalten sind. 1924 bleibt leer, ist es das einzige Jahr ohne Festspiele, die sich ansonsten durch alle Krisen spielen.

Mit dem "Anschluss" Österreichs wird "Jedermann" gestrichen

1934 kommt es bei den Kämpfen zwischen Heimwehr und Nationalsozialisten zu Toten, während die Generalproben zu „Jedermann“ laufen. Der „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich 1938 verändert auch die Festspiele elementar. Stardirigent Arturo Toscanini verweigert sich einer weiteren Zusammenarbeit und schickt ein Telegramm aus New York: „wundere mich dass man nicht bereits aus meinem ersten kabel die endgueltigkeit meiner entscheidung verstanden hat.“ Reinhardt ist zu diesem Zeitpunkt schon in den USA geblieben, wo er 1943 stirbt, die Stücke Hugo von Hofmannsthals werden vom Spielplan gestrichen, Salzburg ist ohne „Jedermann“, während die Welt in Asche fällt. 1946 bringt ihn Reinhardts Witwe Helene Thimig wieder zurück auf den Domplatz.

[Bis 31. Oktober 2021, Salzburg Museum, Neue Residenz, weitere Informationen unter www.salzburgfestival100.at. Katalogbuch: Martin Hochleitner, Margarethe Lasinger (Hgs.): Großes Welttheater. 100 Jahre Salzburger Festspiele. Residenz Verlag, 480 Seiten, 25 Euro]

1957 tritt Herbert von Karajan als künstlerischer Leiter an, inszeniert, dirigiert und macht Salzburg zum Treffpunkt der Stars und des Jetsets. Ein eigenes Gesetz schützt die Festspiele vor zeitgleicher Konkurrenz in der Stadt, die alternative Kulturszene revoltiert, Pianist Friedrich Gulda schlägt sich auf ihre Seite und sagt dem Karajan-Fest ab. Für Stachel im Sitzfleisch sorgt auch Thomas Bernhardt, der Salzburg als „exterritorial“ einstuft und damit den selbstverfügten Aufführungsbann seiner Stücke in Österreich wiederholt umgeht.

Auf dem Weg zur Klangkammer, in der die Kunst der Wiener Philharmoniker zu einem körperlichen Erlebnis wird, oder zur Bühne im Untergeschoss, wo Plácido Domingo als Museumswächter von Heldentaten träumt, passiert man eine Holzstube mit Trachten darin. Reinhardt hatte seine Gäste nach Ankunft gerne in Dirndl und Lederhosen gesteckt, es war ihm ein Abstreifen des Alltags bei gleichzeitiger Kontaktaufnahme zur alpenländischen Aura des Ortes, ein Initiationsritual für die internationale Festspielgemeinde. Hämische Stimmen sahen darin bloße Maskerade. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ wurde Menschen jüdischen Glaubens das Tragen von Trachten verboten. Die Ausstellung „Großes Welttheater“ zeigt, dass selbst ein Janker Teil der Welterkenntnis sein kann.

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