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Kultur: Sag mir erst, wie alt du bist

Mit einem Vierteljahrhundert Verspätung endlich im Kino: „Opening Night“ von John Cassavetes

Die Berlinale 1978 eröffnete mit „Opening Night“, und bei der Abschlussveranstaltung wurde die Hauptdarstellerin Gena Rowlands als beste Schauspielerin mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet. Wer damals allerdings den Film nicht gesehen hat, konnte das auch in den letzten 25 Jahren nicht nachholen; er hat es nie in deutsche Kinos geschafft. Das lag vielleicht daran, dass „Opening Night“ auch in den USA mit nur einer einzigen Kopie angelaufen war.

Jetzt aber bringt der Peripher-Verleih John Casavetes’ Film neu heraus, im Original mit Untertiteln. Und das ist ein ausgesprochener Glücksfall. Außerdem macht dieser Film Lust auf die Retrospektive der nächsten Berlinale, die dem New-Hollywood-Kino gewidmet ist. Schließlich gehören Cassavetes und Gena Rowlands zu dessen profiliertesten Figuren.

„Opening Night“ ist ein Film über Theater und das method acting, über ein work-in-progress und die Vermischung von privaten und professionellen Beziehungen. Man spielt Szenen einer Ehe, auf und hinter der Bühne, man hat und spielt Lebens- und Todesangst. Zwischen den Geschlechtern herrscht Krieg – im Theaterstück, das geprobt wird, im Film über dieses Stück, und möglicherweise in der Ehe, die John Cassavetes und Gena Rowlands im realen Leben verband; schließlich auch in der Gesellschaft, die die Filmemacher umgab: Nachdem in den Sechzigerjahren Bürgerrechtler, Vietnamkriegs-Gegner, Studenten und Black Panthers auf die gesellschaftlichen Missstände in den USA aufmerksam gemacht und erhebliche Veränderungen herbeigeführt hatten, meldeten sich nun auch die Frauen zu Wort. Daran, dass die Frauen im öffentlichen Leben praktisch keine Rolle spielten, hatte in der ganzen Nach-68er-Aufregung niemand gedacht, nicht einmal die Frauen selbst.

Vor diesem Hintergrund erzählt „Opening Night“ von einem Theaterstück namens „The Second Woman“. Regisseur ist Manny Victor – hervorragend besetzt mit dem ewig unterschätzten süffisant-überheblichen Ben Gazzarra: Maurice (Cassavetes) und Myrtle (Rowlands) spielen auf der Bühne ein Ehepaar, das sich auseinander gelebt hat. Maurice fühlt sich Myrtle, dem Star des Ensembles, unterlegen – zumindest ist das seine Begründung dafür, dass er vor kurzem Schluss gemacht hat. Bei einer Probe, in der Maurice Myrtle schlagen soll, kommt es zum Eklat. Myrtle weigert sich zu spielen; sie fühlt sich erniedrigt. Dem Regisseur gelingt es nicht, sie umzustimmen; und auch Sarah Goode, die Autorin, kann zunächst nichts ausrichten.

Dann aber wird Sarah zur Schlüsselfigur: Sie ist etwa 20 Jahre älter als Myrtle; und ihr Drama handelt nicht nur von einer Ehe in der Krise, sondern auch vom Altern. Sie begreift, dass Myrtle sich nicht damit auseinander setzen mag. Die Figur der Sarah ist mit Joan Blondell, einem Musical-Star der Dreißigerjahre, besetzt: Das heißt nicht nur Old Hollywood meets New Hollywood, sondern auch, dass die reale berufliche Karriere der Schauspielerin in ihrer Filmrolle reflektiert wird. Mehr method geht nicht. Mit Hilfe von Vernunft und spiritistischen Séancen gelingt es Sarah Goode schließlich, Myrtle zu befreien von den Visionen eines jüngeren Ichs, die sie verfolgen: Die Solidarität der Frauen untereinander schafft, was die herablassenden Männer nicht vermochten.

Zur Premiere erscheint eine betrunkene, ramponierte, aber souveräne Myrtle, die zum Entsetzen des Regisseurs, aber zum Entzücken des Publikums ihrem Partner eine neue, sehr persönliche Interpretation des Stückes aufzwingt. Cassavetes hatte für diese Aufführung ein Theater gemietet und 2000 Leute eingeladen, die nicht wussten, was auf sie zukommen würde. Auch die Reaktionen dieses echten Publikums zeigt der Film. Und – so viel sei verraten – das Ende ist spannender als jeder Thriller.

„Opening Night“ ist ein nervöser Film, der seinen Protagonisten dicht auf die Leiber rückt. Er visualisiert einen Zustand gesellschaftlicher Beunruhigung, der zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ führte. Davon profitieren die westlichen Gesellschaften immer noch, auch wenn man heute nicht nur weit hinter die Forderungen von damals, sondern auch hinter den erreichten Status quo zurückgefallen ist – auch und gerade in der Gender-Debatte.

In Berlin: fsk und Hackesche Höfe (OmU).

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