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Szene aus Dmitri Tscherniakovs Inszenierung der Oper „Aus einem Totenhaus“ von Leos Janacek bei der Ruhrtriennale 2023.

© Volker Beushausen

Ruhrtriennale 2023 in Bochum : Die Jahrhunderthalle wird zum Knast

Dmitri Tcherniakov inszeniert Leos Janaceks Oper „Aus einem Totenhaus“ in der Bochumer Jahrhunderthalle. Die musikalische Leitung der packenden Produktion hat Dennis Russell Davies. 

Soll man es als Trost verstehen, was Leos Janacek als Motto über die Partitur zu seiner Oper „Aus einem Totenhaus“ geschrieben hat: „Jede Kreatur ist ein Funke Gottes“. Oder hat er das zynisch gemeint? Was sollen wir von den zu lebenslänglicher Strafe Verurteilten halten, die er in seiner letzten Oper vorführt: sie bemitleiden, vor ihren schlimmen Verbrechen zurückschrecken oder sollen wir erkennen, wie ähnlich diese Sträflinge uns doch sind?  

Die Bochumer Jahrhunderthalle, 1902 als Gebläsemaschinenhalle für Hochöfen errichtet, doch nun schon lange eine Einrichtung für Kulturevents, scheint wie geschaffen für eine Installation von Gefängnishöfen. Bei der Neuinszenierung der Ruhrtriennale werden keine Sitzplätze angeboten. Doch hat Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tscherniakov Stahlgerüste aufgebaut, von denen man von oben herab wie von einer Galerie in sechs Meter Höhe auf das Geschehen blicken kann.

Bucht man dagegen den „Gefängnishof“ als Eintrittskarte, steht man den Sträflingen vis a vis gegenüber, kann ihnen immer wieder in die Augen sehen, ihre Blicke erwidern oder ihnen ausweichen.  

Ausschließlich unter Männern spielt Janaceks letzte Oper. Allerdings sind in „Aus einem Totenhaus“  auch Frauen stets präsent: Weil die Sträflinge sie verachten, gleichzeitig aber sehnsüchtig verehren. Weil sie sie lieben, als Partnerin, als Mutter, sich aber auch verraten fühlen.  

Die Neueinstudierung in der Jahrhunderthalle ist also immersives Theater, bei dem die Trennung von Zuschauerraum und Bühne aufgehoben ist - doch im Gegensatz zu immersiven theatralischen Aktionen wie etwa der Gruppe Signa wird man weder durch Einlass-Rituale, Kostüme oder durch die Erkundung theaterferner Orte in das Geschehen eingebunden. Konsequent wird auch literarische Vorlage Fjodor Dostojewskis „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ (1861) nicht zitiert.

Augen in Auge mit den Häftlingen

Der in der Jahrhunderthalle vorgeführte Sträflingsalltag ist weder auf Sibirien, noch auf das 19. Jahrhundert fixiert, und auch in Bezug auf die russische Gegenwart ist jede politische Aktualisierung konsequent vermieden. Zum Glück, denn sie wäre wohl auch allzu vordergründig.  Weder Fesseln noch Häftlingskleidung tragen die Insassen, sondern sie passen sich den Zuschauern in ihren Alltagsklamotten an.  

Szene aus Dmitri Tscherniakovs Inszenierung der Oper „Aus einem Totenhaus“ von Leos Janacek bei der Ruhrtriennale 2023.

© Volker Beushausen

Eine durchgehende Handlung fehlt Janaceks selbst verfasstem Libretto. Die Oper ist - dramaturgisch durchaus geschickt - eine raffinierte, oft wortwörtliche Montage aus Dostojewskis Vorlage. Der politische Gefangene Alexandr Petrovic Gorjancikov (Johan Reuter) ist nicht wie in der Vorlage die zentrale Figur, auch wenn gezeigt wird, wie er zu Beginn ins „Totenhaus“ eingeliefert, im Finale begnadigt und schließlich entlassen wird - aber vielleicht ist die Begnadigung nur eine Fake und eine fiebrige Imagination? Gorjancikov bleibt in der Oper einer unter vielen, auch wenn ihm, dem Gebildeten, besonders übel von den Mitgefangenen mitgespielt wird.

Enorme Präsenz der Sänger

Er wird mit Wasser übergossen, blutig geschlagen und vielfach gemobbt. Beängstigend, aber auch theatralisch beeindruckend wie Kampfsport, wenn sich die Häftlinge in sadistischen Aktionen (Live Action: Ram Arthur Braun) immer wieder austoben und böse quälen, dann sich aber wieder unterwürfig selbstmitleidig disziplinieren. (Chor der Janacek Oper Brno).

Strukturiert ist „Aus einem Totenhaus“ durch die Performance von vier Erzählungen der Sträflinge, wobei diese gleichzeitig sowohl Täter als auch Opfer spielen: manchmal wie Rapper zappelnd, dabei immer wieder von Einwürfen der Mithäftlinge unterbrochen. Das Theaterstück „Kedril und Don Juan“ ist als „Gefängnistheater im Theater“ eine schmierige Schütt-Aktion. Imponierend die große sängerischer Präsenz, zum Beispiel Neil Shicoff in der Rolle des Alten, und Leigh Morose, der sich in langen Erinnerungen an sein Mordopfer Akulina ergeht - die er doch über alles liebte, die er beschützte und die ihn betrog. 

Wenn bei der Ouvertüre im Trubel und Gebalge der in den Gefängnishof hereinstürmenden Sträflinge das Orchester der Bochumer Symphoniker zunächst ein akustisch nur schwacher Hintergrund zu sein scheint, ändert sich das schon bald. Wie im Sog wird man immer mehr von Janaceks bisweilen fast sentimentalen, dann wieder schrillen Sound buchstäblich gefangen genommen - und von den Erzählungen und Einwürfen der Sänger. Dennis Russel Davies scheint dabei Janacek fast ein wenig in die Nähe amerikanischer Minimalisten wie Philip Glass zu rücken.  

Ist also vielleicht doch der Stehplatz in der Oper die klügste Position, um im Theater ohne Bequemlichkeit – aber hellwach – die Tiefen und Untiefen des Gegenübers, des Opfer- und Täter-Seins zu erfahren? Um gleichzeitig zu beobachten und das Erlebte an sich selbst erkunden zu können? 

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