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Szene aus der Oper „Adelaide di Borgogna“ mit der Sopranistin Olga Peretyatko beim Rossini Festival 2023.
 

© Amati Bacciardi

Rossini-Festival in Pesaro an der Adria: Kriegerische Koloraturen

In seinem Geburtsort Pesaro wird der Komponist Gioacchino Rossini jedes Jahr mit einem Opernfestival gefeiert: Auf dem Programm stehen diesmal „Aurelio in Palmira“, „Eduardo e Christina“ und „Adeliadie di Borogogna“.

Seit 1980 das Rossini-Festival in Pesaro gegründet wurde, ist eine Fahrt in die Geburtsstadt des Komponisten an der Adria immer auch eine Forschungsreise in die Welt der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts. 2023 sind die jährlichen drei Rossini-Produktionen dabei ausnahmslos Raritäten. Eröffnet wurde mit einem „dramma in musica“, das zwar schon beim Rossini-Festival in Bad Wildbad, aber noch niemals in Pesaro gezeigt wurde, nämlich „Eduardo e Christina“.

Das mag an wissenschaftlichen Ansprüchen der Fondazione Rossini gelegen haben, denn für die Edition war kein Originalmanuskript vorhanden. Vor allem aber scheint man deshalb einen Bogen um „Eduardo e Christina“ gemacht zu haben, weil Rossini die Musik für das Libretto über das schwedische Liebespaar Eduardo und Christine und deren uneheliches Kind fast ausschließlich aus Arien und Chören früherer Opern montiert hat.

Als „Tütensuppe“ geschmäht

Rossini-Forscher Richard Osborne schmähte „Eduard e Christine“ als „Tütensuppe“, sie wäre ohne eigenständigen Geschmack abgemischt. Aber liegt einer solchen Vorstellung nicht auch ein etwas antiquierter Werkbegriff zugrunde? Der ernste oder komische Kontext spielt bei Rossinis Montageverfahren jedenfalls keine Rolle. Die Ouvertüre zur Oper seria „Aureliano in Palmira“, die beim Festival 2023 auch zu hören war, benützte Rossini zum Beispiel später für den heiteren „Barbier von Sevilla“. Rossinis Musikverständnis ist abstrakt.

Szene aus der Oper „Adelaide di Borgogna“ mit René Barbera und Olga Peretyatko beim Rossini Festival Pesaro 2023. 

© Amati Bacciardi

Forschend vergleichen kann man 2023 an drei Raritäten überraschende strukturelle Gemeinsamkeiten, die in drei sehr unterschiedlichen Regiekonzeptionen vorgeführt werden. Hintergrund der tiefen, alle drei Opern bestimmenden Liebesbeziehungen sind Kriegssituationen und Militäroperationen: der Krieg Russlands gegen Schweden („Eduardo e Christina“), die Einnahme Syriens durch das römische Reich („Aureliano in Palmira“) und der militärische Überfall während der Hochzeitmesse von Kaiser Otto und Adelheid („Adelaide di Borgogna“) bei der Schlacht von Canossa.

Existenzielle Bedrohung

Die Inszenierung, oder besser: die Installation von Stefano Poda bei „Eduardo e Christina“ vermeidet dabei jeden vordergründigen Realismus. Poda ist nicht nur Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner, sondern vor allem auch Choreograf eines Bewegungschores, der die Hauptfiguren umschleicht und umtanzt. Die Bühne kann man auch als Museum mit Skulpturen oder Leichenhalle sehen. Vorgeführt wird – bis auf die Protagonisten tragen alle weiße, hellgraue oder schwarze Gewänder und Gesichtsmasken – eine abstrakte Konstellation zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Tochter, sowie zwischen Mutter und Kind. Jede Situation ist vom Tod existentiell bedroht.

Geradezu idyllisch im Gegensatz dazu die Szenerie im umkäpften Syrien, („Aureliano in Palmyra“). Die Inszenierung von Mario Martone ist eine Wiederaufnahme aus dem Jahr 2014. In den an Tableaux vivants erinnernden, oft von Tüchern verhangenen, ländlichen Bildern tummeln sich sogar echte Ziegen.

Backstage-Komödie

Regisseur Arnaud Bernard wiederum distanziert sich vom Historienschinken „Adelaide di Borgogna“, indem er die Aufführung als „Theater auf dem Theater“, als Backstage-Komödie vorführt: eine turbulente Probe der Oper mit Pannen, nervösen Regieassistenten, unkonzentrierten und aufeinander eifersüchtigen Künstlern, vielen geschäftigen Bühnenarbeitern und bisweilen verspätet eintrudelnden Chormitgliedern.

Und doch verblüfft trotz dieser szenischen Unterschiede vor allem die Ähnlichkeit der Liebespaare: Denn alle drei sind von ihrer Stimmlage gleichgeschlechtlich. Liebe entfaltet sich bei Rossini also ausschließlich im Duett weiblicher Stimmen. Daniela Barcellona zeigt sich mit ungebrochener Strahlkraft als Feldherr Eduardo. Ihr Gegenüber ist eindrucksvoll die Debütantin Anastasia Bartoli. Der hartherzige, die eigene Tochter aus juristischer Raison ermorden wollende Vater ist ein harter, finsterer Tenor (Enea Scala).

In „Aureliano im Palmira“ lieben sich in gewagten, auch in den Tiefen mühelos vorgebrachten Koloraturen der Mezzo von Raffaela Lupinacchi und der Soparan von Sara Blanche, während der Tenor von Alexey Tartaintsev den etwas zwielichtigen Aureliano gibt. Als Adelaide brilliert Olga Peretyatko. Ihr steht die armenische Sängerin Varduhi Abrahamyan als Kaiser Otto gegenüber. Bei aller komödiantischen Spielfreude der Inszenierung vermag Peretyatko dennoch plötzlich ihren stillen Sehnsuchtsarien Tiefe zu verleihen. Der Fiesling Adelberto (René Barbera) wiederum imponiert zusätzlich auch als Komödiant, als schnell beleidigter, aber unter den Kollegen umtriebiger Tenor.

Verdienst kommt aber vor allem dem RAI Orchester unter Jade Bignamini und Francesco Lanzilotta zu, die den Opern Rossinis eine pulsierende einheitliche Farbe geben, sowie dem Dirigenten George Petrou, der die zarteren klassizistischen Töne des Frühwerks „Aureliano in Palmira“ mit den Orchestra Rossini herauszuarbeiten versteht. Wenn Pesaro 2023 auch keineswegs große Meisterwerke ans Licht gebracht hat, Spaß macht die archäologische Entdeckungsarbeit an der Adria allemal.

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