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Herrschaftlicher Durchblick von Schloss Paretz in den großzügigen Park. Der Gartensaal gehört zu den schönsten Räumen des Hauses. Seine Wände sind geschmückt mit prächtigen Tapeten feinster Naturmalerei – Rosen, Vogelbeerbäume, Passionsblumen, Schmetterlinge und Vögel.

© bpk / Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Leo Seidel

Auf Fontanes Fährte (2): Unterwegs in Paretz und Ketzin: Romantik kann tanzen

Schloss und Dorf Paretz, Königin Luises Sommerparadies, haben ihren Zauber wiedergewonnen. Und im Städtchen Ketzin lockt der Fischerkiez an der Havel.

Schlichter Holztisch, Ikea-Regale – Evelyn Friedrichs Büro wirkt nicht wie ein Sehnsuchtsort. Aber wenn sie von ihrer Arbeit erzählt, gerät sie ins Schwärmen. „Schauen Sie mal“, sagt sie irgendwann und weist zum Fenster. Der Blick schweift aus der ersten Etage weit über den Schlossgarten bis zum glitzernden Lauf der Havel.

Im Inneren des Gebäudes braucht Evelyn Friedrich nur ein paar Treppenstufen zu nehmen, um tief in vergangene Zeiten hinabzusteigen. Denn im Parterre des Schlosses zu Paretz befinden sich die nahezu originalgetreu wieder hergestellten Wohnräume von Preußens populärer Königin Luise und und ihrem Gemahl Friedrich Wilhelm III. Evelyn Friedrich, blauer Blazer, blonde Haare, ist die Kastellanin von Schloss Paretz, offiziell heißt ihr Job bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten „Schlossbereichsleiter“. Als die 58-Jährige vor zwei Jahren ihre neue Stelle bekam, zuvor war sie in Sanssouci tätig, da konnte sie den Enthusiasmus des Königspaares für Paretz verstehen.

Im Sonnenglanz. Die Gartenfront des Schlosses Paretz.
Im Sonnenglanz. Die Gartenfront des Schlosses Paretz.

© bpk / Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Leo Seidel

Kaum angekommen, verliebte sie sich in das äußerlich so überraschend bescheidene, aber im Inneren umso faszinierendere Schlösschen. Die Räume anmutig, hell, elegant möbliert im Stil des Empire und Biedermeier. Die Wände geschmückt mit original erhaltenen, kunstvoll handgemalten Papiertapeten. Farbenprächtige Gartenbilder, chinesische Fauna. Ein Wunder, dass dieser fragilste Teil des Interieurs um 1947 sorgsam von den Wänden abgelöst wurde und im Magazin in Potsdam erhalten blieb. Für Luise und Friedrich Wilhelm III. ging in Paretz ein Traum in Erfüllung. Sie sehnten sich nach diesem Flecken Erde. Schloss und Dorf ließen die beiden 1797/98 nach ihrem romantischen Ideal wie ein Gesamtkunstwerk gestalten. Danach zogen sie sich mit ihren Kindern so oft es ging ins ländliche Idyll zurück.

Prachtvolle Tapeten, zauberhafte Zimmerfluchten.
Prachtvolle Tapeten, zauberhafte Zimmerfluchten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gut sechzig Jahre später bat Theodor Fontane den Paretzer Hofgärtner Georg Sulpizius, ihm die Geschichten des ungewöhnlichen Königspaares zu erzählen. Ein pikanter Stoff. Europaweit hatten ihre Eskapaden in Adelskreisen Aufsehen erregt. Kaum zu fassen, dass die Beiden zum Erntedank mit dem Landvolk auf der Tenne feierten und es sich in ihrem Ferienschloss sogar erlaubten, ein Schlafzimmer zu teilen. Der Hofmarschall soll entsetzt gewesen sein. Der Dichter aber war hingerissen. Drei Mal kam er nach Paretz, 1860, 1869 und 1870. Er schilderte Luises Glück im „Schloss-Still-im Land“ in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, amüsierte sich über die „spalierbildende Garde der hohen Pappeln“, die bis heute den Vorplatz des Schlosses prägen.

Prachtkutsche für zwei junge Damen. In der Remise des Schlosses kann man die "Brauteinholungskutsche" bewundern, mit der Luise und ihre Schwester Friederike 1793 zur Doppelhochzeit nach Berlin reisten. Faszinierend sind in der Remise auch die gezeigten Sänften, Schlitten und Kutschen.
Prachtkutsche für zwei junge Damen. In der Remise des Schlosses kann man die "Brauteinholungskutsche" bewundern, mit der Luise und ihre Schwester Friederike 1793 zur Doppelhochzeit nach Berlin reisten. Faszinierend sind in der Remise auch die gezeigten Sänften, Schlitten und Kutschen.

© picture alliance / ZB

Seine Beschreibungen lösten einen nachhaltigen Besucherboom aus. Erst sehr viel später, zu DDR-Zeiten, geriet Paretz wieder ins Abseits, weil die höfischen Erinnerungen nicht ins politische Weltbild passten. Doch spätestens, seit das Schloss bis 2002 sorgsam saniert und wieder hergerichtet wurde, kehrten die Gäste zurück. Sogar das „schöne Königspaar, das hier lebte und lachte“, so Fontane, könnte gleich wieder Einzug halten. Es ist ja in Paretz schon eine Menge geschehen. Matthias Marr, Vorsitzender des Vereins Historisches Paretz und vormaliger Schlosskastellan, kennt alle Details. 1990 hat der heute 67-Jährige den Verein mitbegründet. Also, Herr Marr, wie wär’s mit einem Dorfspaziergang?

Schmuckstück mit gotischer Formenfülle. Die Dorfkirche vis-à-vis vom Schloss.
Schmuckstück mit gotischer Formenfülle. Die Dorfkirche vis-à-vis vom Schloss.

© picture-alliance/ ZB

Los geht’s an der 2002 restaurierten Dorfkirche, vis-à-vis vom Schloss. „Schloss und Kirche grüßen sich“, flachste einst Fontane. Wie ein gelb-getünchtes Schmuckstück mit schlanken Fensterbogen steht das Gotteshaus im Kirchgarten, es hat genug Platz, um seine Wirkung als älteste neogotische Dorfkirche der Mark zu entfalten. König und Königin ließen den mittelalterlichen Bau 1797 umgestalten – in diesem Stil ist das Kirchlein bis heute erhalten. Als Fontane es erstmals sah, war er begeistert von der „gotischen Formenfülle“. Ein Gewitter zog damals auf. Er blickte zur Baumreihe am Schloss und notierte: „Schwüle liegt in der Luft, selbst das Pappellaub, das immer plaudert, ist still.“

"Über der Landschaft lag ein Duft, die Wiesen immer frisch ..."

Matthias Marr ist ein in Paretz tief verwurzelter Mann. Er wählt seine Worte bedächtig, aber nun geht er mit langen Schritten voran. Gepflegte Wege, üppige kleine Parks, überall Infotafeln zu Stätten des früheren Dorfalltags, beispielsweise zum Eiskeller – und natürlich mit Fontanezitaten zu Paretz. Vermutlich war man hier in den Tagen des Dichters noch weniger vorbildlich organisiert, der Klang der Natur aber war derselbe. „Alle Singvögel schienen im (...) Park ihren Lieblingsaufenthalt zu haben“, heißt es im Band „Havelland“. „Über der Landschaft lag ein Duft, die Wiesen immer frisch ...“.

In der Scheune drehte sich einst Luise zur Musik

Weiter geht's zur Dorfscheune, ein flacher Fachwerkbau, um den sich fast ebensoviele Geschichten ranken wie ums Schloss. Hier war der Tanzboden, auf dem sich Luise mit den Einheimischen zur Musik drehte. Im Jahr 2011 wurde die Scheune mit Hilfe der "Helga Breuninger Stiftung" saniert. Seither ist sie ein Kulturtreff mit Café und großem Saal für Theater, Musik und Tanz. Breuninger Stiftung? Helga Breuninger (72) verwaltet das von ihrem Vater, dem Stuttgarter Warenhausunternehmer Heinz Breuninger, eingebrachte Stiftungsvermögen. An der alten Paretzer Schleuse betreibt die Stiftung eine Tagungs-Akademieals Thinktank für internationale Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur. Dies soll nicht isoliert am Ortsrand geschehen, also bezieht die Akademie das einstige königliche Musterdorf mit ein.

in paar Schritte weiter auf der Werderdammstraße klappern Pferdehufe. Links der Luisenhof, rechts der Storchenhof – zwei Reiterhöfe. Marr schmunzelt. „Wir sind auch ein Pferdedorf.“Es ist Mittag, die Sonne heizt das Kopfsteinpflaster auf, die breite Straße führt zwischen stattlichen Bauernhäusern hinab zu den Havelauen. Gewiss hat sich einiges verändert, seit Luise und ihr Gemahl hier flanierten. Aber so ähnlich habe sich das Paar sein ideales Dorf in der Schlosskulisse durchaus vorgestellt, sagt Marr.

Am Ende des Pflasters, kurz vor dem Fluss, haben Tanja und Tobias Hipp vor Kurzem ihre Lieblingsidee verwirklicht. Auf einer Wiese vor ihrem neugebauten Holzhaus eröffneten sie das Bar-Café „Leibspeise“. Im Sommer wollen sie dort mit Gästen Open-Air feiern und tanzen. Erst jüngst sind die Architektin und der Kulturmanager mit ihren Kindern von Berlin nach Paretz gezogen. „In diesem Dorf“, sagt Tobias Hipp, „finden Geschichte, Gegenwart und Menschen wunderbar zusammen.“

Kopfsteinpflaster, stattliche Bauernhäuser. Die Werderdammstraße führt hinab zu den Havelauen.
Kopfsteinpflaster, stattliche Bauernhäuser. Die Werderdammstraße führt hinab zu den Havelauen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zugegeben, Ketzin kann bei alldem nur schwer mithalten. Das Nachbarstädtchen hat kein Schloss und kein respektable Adelsfamilie im Angebot. Deshalb stand es immer ein wenig im Schatten von Paretz. Selbst Fontane soll nie in Ketzin gewesen sein, was die Einheimischen nicht so recht glauben wollen. Folgt man Wolfgang Wich, der als „Fischer Karl“ mit blau-weißem Hemd und Schirmmütze durch Ketzin führt, so wird rasch klar, dass die Stadt zu Unrecht hintan steht. Der 66-jährige Hobbyhistoriker zeigt pittoreske Ausblicke durch die Gassen des Fischerkiezes hinab zur Havelpromenade, berichtet von den gescheiterten Bemühungen zur Seidenraupenzucht oder ruft die Zeit der Späth’schen Baumschule in Erinnerung. Kaum ein Berliner weiß schließlich noch, dass die gleichnamige Berliner Großgärtnerei von 1917 bis 1945 in Ketzin riesige Ländereien bewirtschaftete. Der einstige Chef Hellmut Späth wurde wegen „versteckter Hetzarbeit“ 1945 von den Nazis ermordet.

Gute Laune, lange Bar am Havelufer. Tanja und Tobias Hipp eröffneten Mitte Mai ihr Paretzer BarCafé "Leibspeise". Bei gutem Wetter wollen sie mit ihren Gästen an der Wrerderdammstraße 24 feiern. Geöffnet bis Oktober an drei Wochenenden im Monat, Samstag, 12-22 Uhr; Sonntag 12-19 Uhr. Infos: Tel.: 0152-53821319, hippodamus@gmx.de
Gute Laune, lange Bar am Havelufer. Tanja und Tobias Hipp eröffneten Mitte Mai ihr Paretzer BarCafé "Leibspeise". Bei gutem Wetter wollen sie mit ihren Gästen an der Wrerderdammstraße 24 feiern. Geöffnet bis Oktober an drei Wochenenden im Monat, Samstag, 12-22 Uhr; Sonntag 12-19 Uhr. Infos: Tel.: 0152-53821319, hippodamus@gmx.de

© promo

Heute betreibt die Breuninger Stiftung im Späth’schen Gutshof die „Cantina“ – eine Suppenküche „zum gemeinsamen Kochen und auf neue Ideen kommen“. Solche Initiativen findet die Kastellan von Paretz „toll“. Auch an Luises Sehnsuchtsort bemüht sich Evelyn Friedrich um neue Impulse. Jüngst hat sie blinde Menschen durchs Schloss geführt und ihnen Farb- und Lichtnuancen bildhaft beschrieben.

Neue Ausstellung "Luises Landglück" im Schloss

Wie vergnügte sich eine königliche Familie vor mehr als 200 Jahren an ihrem Ferienort? Was spielten die Kinder? Welche Sonnenhüte waren in Mode? Das zeigt die neue Ausstellung auf Schloss Paretz „Königin Luises Landglück“.

Die Monarchin und Friedrich Wilhelm III. hatten zwei bevorzugte Landsitze – ihr Schloss Paretz und das 1797 fertiggestellte Lustschlösschen auf der Pfaueninsel. Den Sommer genossen sie mal hier, mal dort, im Herbst ging’s zum Erntefest nach Paretz. Seit August 2018 wird die kleine Residenz auf der Pfaueninsel saniert. Die Arbeiten sollen mehrere Jahre dauern. Damit die Originalausstattung nicht so lange im Fundus verschwindet, hat die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten eine Auswahl der schönsten Kostbarkeiten zusammengestellt und nach Paretz gebracht. Dort sind sie nun für längere Zeit in der „Landglück“-Schau zu sehen.

Adagio in Blau. Gemächlich fließt die Havel an der Ketziner Uferpromenade vorbei.
Adagio in Blau. Gemächlich fließt die Havel an der Ketziner Uferpromenade vorbei.

© Imago, Werner Otto

Beispielsweise ein Spieltisch, Colosseum- und Tunnelspiel genannt, den das Königspaar für verregnete Sommertage angeschafft hatte. Außerdem Hüte und Hauben aus Span, Stroh und Seide, mit Schleifen und Blumen verziert. Oder ein Tischservice aus KPM-Porzellan, dekoriert mit Vögeln und Schmetterlingen.
Doch Paretz hat 2019 noch mehr zu bieten. Das „königliche Dorf“ feiert den 200. Geburtstag Theodor Fontanes besonders ausgiebig – mit Führungen, Konzerten, Filmvorstellungen, Tanz auf der Tenne und etlichen anderen Events. CS
Öffnungszeiten Schloss Paretz: vom 1.April bis 31. Oktober, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17.30 Uhr, montags geschlossen.

Mehr Infos zu vielen Veranstaltungen im Internet: www.spsg.de; www.paretz-verein.de; www.fontane-200.de

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