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Offenbart viel von sich. Ezra Furman, 33, ist queer und religiös.

© PIAS

Rockplatte „12 Nudes“ von Ezra Furman: Jüdisch, queer und voller Wut auf Trumps Amerika

Aktbilder der Seele: Der Musiker Ezra Furman singt auf seiner rohen Rockplatte „12 Nudes“ über seelische und politische Kämpfe.

Es gibt im amerikanischen Englisch das sehr praktische Adjektiv „jewy“. Es bezeichnet Menschen, Orte, Situationen und letztlich Identitäten, die jüdisch sind, in ihren Werten und Ideen, ihrem Humor und ihren Hoffnungen, vielleicht auch einfach den Vibes, ohne eine tatsächliche religiöse Bindung.

Ezra Furman nun ist nicht einfach nur jewy, sondern religiös. Das zeigt sich zum einen darin, dass er zum Gebet Tefilin anlegt und den Schabbes einhält (sogar auf Tour), aber vor allem in seiner Haltung: „Das Judentum zu kennen und ein religiöser Jude zu sein, bedeutet, Zugang zu haben zu einer Weltsicht, die dem Rest der Welt fremd ist“, erklärte er 2015 dem „Guardian“. Seitdem versucht der 33-Jährige, diese Idee in Musik auszudrücken, zu erläutern und auch wieder anzuzweifeln.

Schon die Titel seiner Alben geben Auskunft darüber, was diese Weltsicht ausmacht: „Perpetual Motion People“ von 2015 oder „Transangelic Exodus“ von 2018: Menschen (oder ein Volk), die in steter Bewegung sind, ausziehen müssen und sich wieder woanders anfinden, getrieben von Träumen und Vorhersagungen, dass die Welt besser sein kann. Ähnlich rastlos war auch die Musik. Mit klarer Grundierung in den heiligen Schriften des amerikanischen Proto-, Art- und HardcorePunk der Siebziger und Achtziger, ergänzt durch R ’n’ B, Country und Doo-wop.

Emotionale Reaktion auf den schleichenden Faschismus

Furmans neues Album heißt „12 Nudes“, enthält aber nur elf Songs. Das ist kein kabbalistischer Witz über Zahlenmystik und auch keine Anspielung auf die „12 Songs“ von Randy Newman (der sehr jewy immer wieder darlegt, warum ihn jüdische Religion nichts angeht), sondern eine Reverenz an Anne Carson, die kanadische Dichterin und Übersetzerin, deren Werke oft im neuralgischen Punkt zwischen Lyrik, Prosa und Essayistik liegen.

In ihrem „Glass Essay“ beschreibt sie eine Serie von zwölf Visionen, die sie während des intensiven Studiums der Brontë-Schwestern jeden Morgen erreichen, die sie „Nudes“ nennt, Aktbilder ihrer Seele. Furman ist ein großer Bewunderer von Carson, sein Album versucht mit den Mitteln des Punk die raue Schönheit ihrer Sprache zu berühren. Es ist schnell aufgenommen, dicht und karg.

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Besagter Text von Anne Carson erschien in ihrem Band „Glass, Irony, and God“, womit auch die zentralen Themen von Ezra Furman gut umrissen sind. Er offenbart viel von sich, manchmal auf denkbar transparenteste Weise, manchmal hinter einer dunklen Scheibe Milchglas und Rückkopplung verborgen.

„12 Nudes“ ist der starke Kaffee nach dem Kater, den der Vorgänger „Transangelic Exodus“ von 2018 hinterlassen hat: Der Versuch, eine große „Amerika Hier & Jetzt“-Platte aufzunehmen, war nobel, aber auch etwas gewollt. Diesmal, so Furman, geht es eher um eine emotionale denn um eine intellektuelle Reaktion auf den schleichenden Faschismus.

Es geht um seelische, um psychische Kämpfe

„We all know somebody who’s been killed“, knurrt er im zentralen Song „Trauma“, eine stampfende, wütende Analyse amerikanischer Selbstlügen und Selbstverletzungen – an keiner Stelle auf dem Album grollen die Gitarren so heftig, aber nirgendwo nähert sich Ezra Furmans ohnehin immer angegriffen klingende Stimme auch so sehr dem Zusammenbruch. Der Song ist die genaue Mitte des Albums und strahlt in beide Richtungen.

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Häufig geht es um seelische, um psychische Kämpfe, seine eigenen, aber vor allem die der Menschen um ihn herum. Furman ist ernsthaft bemüht, Brücken zu bauen, Verbindungen zu ziehen zwischen verschiedenen Formen der Unterdrückung und Verfolgung. „What Can You Do But Rock ’n’ Roll“, das abgeklärt hoffnungsvolle Ende des Albums, postuliert die Musik als Ausweg all jener, die viel und nichts zu verlieren haben, deren sexuelle Identität kriminalisiert werden soll oder die wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft nicht wählen dürfen.

Wie wird man ein guter Verbündeter?

Furman ist sich des Schmerzes in der Welt bewusst, seines eigenen allerdings immer ein bisschen mehr. Ganz am Ende erwähnt er seinen „Bisexual Blues“ und wünscht sich dafür Anerkennung: ein wichtiges Anliegen, aber eventuell nicht der dringendste Kampf, den queere Menschen gerade führen. Es sei ihm egal, sagt er, welche Pronomen Menschen für ihn benutzen – für ihn schön, für trans Menschen, die konstant misgendert werden, eher weniger. Furman ist sich dieser Privilegien bewusst, und schließlich zeugt das Album mehr von seinen Kämpfen, ein guter Verbündeter zu sein, als seine eigene Ausgrenzung zu definieren.

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[„Twelve Nudes“ ist bei Bella Union/PIAS erschienen. Konzert: 17. 11. Festsaal Kreuzberg]

Seine queere Identität ist auch kein Witz, und keine Art Phase, wie noch für seinen Rabbi, Lou Reed. Über dessen Album „Transformer“ hat er ein schönes Buch geschrieben, das ihn auch als exzellenten Hörer zeigt. Seine neue Platte ist eher sein „New York“-Album: der Millennial-Selbstchronist tritt in die Welt und versucht sie zu beschreiben.

Und so sind die titelgebenden „Nudes“ eben doch ein bisschen wie die Nacktbilder, die Mitglieder seiner Generation verschicken. Irgendwo zwischen Anne Carsons Visionen und ernst gemeinten, aber vergänglichen Spiegelselfies steht Ezra, der Prophet, und stellt eine simple wie komplizierte Frage, über die Welt, aber auch seine eigene Karriere: War das schon alles, oder kommt da noch mehr?

Fabian Wolff

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