zum Hauptinhalt
Kristina Söderbaum verkörpert in „Opfergang“ die pure Lebenslust.

© Concorde

Restauration von Veit Harlan Filmen: Die Erotik des Todes

Untergang in Agfacolor: Die Murnau-Stiftung hat zwei Melodramen von Veit Harlan, Regisseur des antisemitischen Hetzfilms "Jud Süß", restauriert und auf DVD veröffentlicht.

Orange und gelb und grün strahlt der Regenbogen, der sich über dem azurblauen Himmel wölbt. Aus der Ferne ziehen dunkle Wolken auf. „Eine Brücke, die hinüberführt“, seufzt Äls. „Wer weiß schon, wann wir sie beschreiten müssen.“ Hinüberwechseln ins Reich der Toten. So rot der Lippenstift, so sandblond die Haare, die kunstvoll zum Dutt geflochten sind. „Ja“, haucht es aus den Lippen, dann küssen sich Octavia und Albrecht, der gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wolle. Ein Happyend also, sollte man meinen. Keineswegs. Denn Albrecht, Äls und Octavia bilden in dem Film „Opfergang“ ein fatales Dreieck, das angesichts der allgegenwärtigen Todesmetaphern nur im Untergang enden kann.

Die Grellheit der Farben von „Opfergang“ springt dem Zuschauer wie ein visueller Faustschlag entgegen. Aus Kostengründen hat Regisseur Veit Harlan „Opfergang“ parallel mit „Immensee“, ebenfalls einer Dreiecksgeschichte, 1942/43 im damals neuen Agfacolor-Verfahren gedreht. Ein Rotschleier scheint über den Bildern zu liegen, und bei einem Faschingsball in Düsseldorf, wo bunt kostümierte Narren bis in die Ekstase feiern, explodieren die Farben geradezu. Goebbels-Protegé Harlan ist wegen seines antisemitischen Hetzfilms „Jud Süß“ mehr berüchtigt als berühmt. Doch „Opfergang“ gilt als stilbildend und taucht bei Umfragen nach den besten deutschen Filmen immer wieder auf vorderen Plätzen auf.

Lebenshunger und Todessehnsucht

Lange waren die beiden Filme nur als ausgebleichte Ruinen zu sehen. Nun sind sie von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung restauriert und auf DVD veröffentlicht worden. Die neue Fassung von „Opfergang“ lief im September bei den Filmfestspielen von Venedig. Harlans Melodramen können durchaus mithalten mit den Filmen, die John M. Stahl oder Douglas Sirk ein paar Jahre später in Hollywood inszenierten. An die Ufa-Tradition, bei der sich Lebenshunger und Todessehnsucht mischten, sollte Rainer Werner Fassbinder anknüpfen, für den, Sirk zitierend, Filme „Blut, Tränen, Gewalt, Hass, der Tod und die Liebe“ sein mussten.

Liebe, Tränen, Tod. In „Opfergang“, entstanden nach einem Buch des heute vergessenen Schriftstellers Rudolf G. Binding, steht der Abenteurer Albrecht, der vom zackigen Carl Raddatz gespielt wird, zwischen zwei Frauen. Gerade nach Hamburg von einer Weltreise zurückgekehrt, einer „Pioniertat im Dienste des deutschen Kolonialgedankens“, verlobt er sich mit der porzellanhaft schönen Patriziertochter Octavia (Irene von Meyendorff), in deren Familie auch im Hochsommer bei geschlossenen Fensterläden morbide Nietzsche-Gedichte rezitiert werden.

Doch dann begegnet Albrecht die finnische Amazone Äls, mit ihrer Vitalität und ihrem Sexappeal das Gegenmodell zur Prüderie und Kontrolliertheit der Gelehrtentochter. Bei einem Elbausflug hängt sich Äls nackt an Albrechts Ruderboot und kommandiert: „Schneller!“ Dargestellt wird sie von Harlans schwedischer Ehefrau Kristina Söderbaum, die wegen ihrer vielen Nassauftritte bereits als „Reichswasserleiche“ verspottet wurde. Die Reiterin, Bogenschützin und Doggen-Besitzerin mag wie das blühende Leben wirken, ist aber in Wirklichkeit sterbenskrank. Sie leidet an einem „Reisemitbringsel“, einer Tropenkrankheit.

Für die Kunst kann man Entsagung lernen

Der Regisseur Dominik Graf schreibt im DVD-Booklet, er habe „Opfergang“ „immer geliebt“, er sei wie auch „Immensee“ ein „gewissermaßen post-faschistischer Film“. Doch als „Opfergang“ 1944 in die Kinos kam und zu einem der größten Kassenerfolge des NS-Films wurde, haben die Zuschauer darin gewiss nicht ihre Zukunft, sondern die Vergangenheit gesehen, eine Welt ohne Krieg. Wenn die Kamera über die eng stehenden Fachwerkhäuser und Kontorgebäude am Hamburger Dovenfleet schwenkt, rückt eine Hafenidylle ins Bild, die bei den alliierten Bombenangriffen der „Operation Gomorrha“ im Sommer 1943 in Schutt und Asche gelegt worden war.

In „Immensee“, Harlans Verfilmung einer Novelle von Theodor Storm, ist es die Feld-, Wald- und Seenschönheit der Holsteinischen Schweiz, die die Illusion einer guten alten Zeit beschwört. „Die Sonne geht auf über unser ganzes Leben“, heißt es einmal. „Immensee“ könnte beinahe die Vorgeschichte von „Opfergang“ erzählen, denn hier bricht der Abenteurer Carl Raddatz auf, um die Welt zu erobern, zuerst als Musikstudent auf dem Hamburger Konservatorium, dann als gefeierter Komponist in Rom. Seine Jugendliebe, die von Kristina Söderbaum mit heimatfilmhafter Zopffrisur gespielt wird, überlässt er einem gemeinsamen Freund, der als Gutsbesitzer zur Dorf-Oberschicht gehört (Paul Klinger). Für die Kunst muss man Entsagung lernen, das ist die Botschaft.

Durchtränkt mit NS-Ideologie

„Opfergang“ und „Immensee“ waren keine Propagandafilme, sind aber durchtränkt mit NS-Ideologie. „Ich will leben, nicht vegetieren“, sagt Kristina Söderbaum als todkranke Heldin von „Opfergang“ und bittet ihren Arzt, ihr Leiden nicht zu verlängern. Das ist ziemlich unverblümte Werbung für die Euthanasie, der im NS-Deutschland zehntausende vermeintlich „Geisteskranke“ zum Opfer fielen. Und als Carl Raddatz in „Immensee“ wegen seiner Reiselust als „Zigeuner“ verspottet wird, wehrt er ab: „Sag doch nicht so was.“ Mit derlei „Untermenschen“ wollte kein „Arier“ verglichen werden.

Propagandaminister Joseph Goebbels hielt das Ende von „Opfergang“ wegen seiner „Todeserotik“ für missglückt. Trotzdem zitierte er noch im Februar 1945 die Zeilen über den Regenbogen: „Die Brücke, die hinüberführt. Wer weiß, wie bald wir sie beschreiten müssen.“ Er musste sehr bald. Nationalsozialistische Todessehnsucht.

„Opfergang“ und „Immensee“ sind als DVD und Blue Ray bei Concorde Home Entertainment erschienen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false