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Boris Aljinovic (Mitte) brilliert als Berliner Trikotagenfabrikant Gieseke.

© Eventpress Hoensch

Renaissance-Theater: Liebesstürme am Wolfgangsee

Torsten Fischer inszeniert „Im weißen Rössl“ im Renaissance-Theater mit Stars wie Boris Aljinovic, Winnie Böwe und Angelika Milster

Der Beginn ist seltsam: verwehter Hackbrettsound, die Mannschaft befindet sich bereits auf der Bühne, zerdehnte Klänge murmelnd, beinahe dekonstruktivistisch. Auch Fragmente eines Queen-Hits fließen mit ein. Erst, als nach einigen Minuten Zahlkellner Leopold in herzerfrischendem Jungsgesang sein „Es muss was Wunderbares sein“ anstimmt, erreichen wir sicheren Grund, ist klar: Was wir hier im Renaissance-Theater hören, ist tatsächlich „Im Weißen Rössl“, eine der erfolgreichsten, wenn nicht die erfolgreichste Operette aller Zeiten.

Eine schillernde, preußisch-habsburgische Koproduktionsmelange war das 1930 bei der Uraufführung in Berlin. Komponist Ralph Benatzky stammte aus Mähren und hatte in Prag studiert, Texter Erik Charell war aus Breslau. Ganz ähnlich war es auch schon bei der Vorlage von 1897 gewesen: Den Schwank „Im Weißen Rössl“ schrieben Oscar Blumenthal, geboren in Berlin und begraben auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee, und Gustav Kadelburg, ein gebürtiger Budapester. Auch sein Grab liegt in Berlin. Und genau darum, um die Anziehungs- und Abstoßungskräfte, das eigenartige Gefälle zwischen diesen beiden Kulturkreisen, geht es ja im „Rössl“: Die Piefkes kommen an den Wolfgangsee, um sich zu erholen, und nehmen dabei eine Entwicklung vorweg, die nach dem Zweiten Weltkrieg so richtig an Fahrt aufnahm, mit klarer Rollenverteilung: Die Deutschen schaffen, Österreich wurde zur „Hure“ (Peter Turrini), zum „Hawaii Mitteleuropas“. Eine Liebesverteilung, die auch ein mit den Rechtspopulisten koalierender und sich als harter Durchgreifer präsentierender Kanzler wie Sebastian Kurz nicht erschüttern kann. Im Gegenteil, viele ihn Deutschland hätten lieber ihn als Kanzler.

Das Stück ist durch und durch eine Berliner Operette

Zwei bemerkenswerte Produktionen vom „Weißen Rössl“ gab es in jüngerer Zeit in Berlin: 1994 mit den Geschwistern Pfister in der Bar jeder Vernunft und 2010 in der Regie von Sebastian Baumgarten an der Komischen Oper. Am Renaissance-Theater hat sich jetzt Torsten Fischer von Herbert Schäfer ein dreigeteiltes Bühnenbild bauen lassen, das mit dem Gegensatz von Innen und Außen arbeitet: Turmhohe hölzerne Wände vermitteln ein Wohligkeitsgefühl, im Hintergrund grüßt ein hoher schneeweißer Berg, der verdächtig ans Matterhorn erinnert, das mit dem Salzkammergut eigentlich so viel zu tun hat wie die Müritz mit dem Bodensee, aber sei's drum. Dazwischen ein Fenster, ein wichtiges Scharnier, steht es doch für das umkämpfte Zimmer Nummer 4, das einzige im „Rössl“ mit Balkon, das alle haben wollen. Vor allem die angereisten Berliner Dr. Siedler und Wilhelm Giesecke. Ja, das „Weiße Rössl“ ist trotz des Namens durch und durch eine Berliner Operette, die Uraufführung war am Großen Schauspielhaus an der Weidendammer Brücke und nahm damals schon den verklärten Blick der Preußen in den Süden auf die Schippe.

Den größten Lacher heimst ein Zelt ein, das sich selber aufbaut

Wobei, Wilhelm Giesecke hat den eigentlich gar nicht. Ihm ist Ahlbeck viel lieber. Boris Aljinovic ist in der Rolle eine Wucht, eine Naturgewalt. Wie ein echter Berliner, der er ja auch ist, hört er sich am liebsten selbst reden, Verzeihung: meckern, darin ist er Weltmeister, große Klasse. Umso größer die Fallhöhe, wenn er doch mal zum Schweigen gezwungen wird. Und wenn er in (viel zu kurzen) Krachledernen auftaucht, kommentiert er schnoddrig: „Ist die Sonne weg, friert man, ist sie da, frühstücken die Mücken!“. Tonio Arango als Gieseckes Konkurrent Dr. Siedler hat seinen ersten Auftritt im selbstoptimierenden, drahtig- schlanken Kampfradleranzug und verschwindet später mit Gieseckes Tochter Ottilie (von Annemarie Brüntjen mit weit aufgerissenen, stets erwartungsvollen Was-kommt-jetzt?-Augen gespielt) in einem Zelt, das sich – Husch! – von anonymer Hand geworfen, von selbst aufklappt – einer der größten Lacher des Abends.

Ralph Morgenstern und Nadine Schori räumen ab als Sigismund Sülzheimer und Klärchen Hinzelmann, wenn sie sich gegenseitig ihre Defekte gestehen (Lispeln und Glatze), was die gemeinsame Liebe nur umso mehr befeuert. Einsam wie ein Fels in der Brandung steht Winnie Böwe, weil ihre resolute Wirtin Josepha Vogelhuber als einzige ganz unironisch angelegt ist, was sie zu einem der geheimnisvollsten Charaktere des Abends macht. Sie gibt nichts von sich preis – und findet natürlich doch einen Liebhaber: Andreas Bieber lotet als juveniler Kellner Leopold die Extreme von cholerischen Ausbrüchen und heißen Liebesschwüren aus. Dass er in einer Rock-Oper mal James Dean gesungen hat, sieht man ihm immer noch an.

Was als Persiflage gedacht war, wird nochmal persifliert

Dazu kommt Walter Kreye als etwas statischer Kaiser Franz Joseph, und über allem erklingen die wunderbaren Berg- und-Tal-Jodler von Angelika Milster, die über weite Strecken pantomimisch, aber ausdrucksstark agiert und ganz ungeniert ihre Oberkörperweite als Waffe einsetzt.

Alle intonieren immer wieder über den Abend verstreut „Im Salzkammergut, da kammer gut lustig sein“, oft nur kurz, manchmal sogar fugiert. Sechs Musiker, von Harry Ermer gelietet und rund um die Bühne verteilt, setzen charmante Akzente mit Tuba, Akkordeon, Schlagzeug. Hier, in der Musik, etwa in einer Sologeigen-Version (Angelika Feckl) von „Es muss was Wunderbares sein“, stecken auch die einzigen Momente, in denen man denkt: Vielleicht sollte man dem Stück auch mal eine Chance geben, aus sich heraus zu wirken, ganz ohne ironischen Überbau. Da könnte man einiges finden.

Das Renaissance-Theater hält sich lieber ans Rezept: Das, was sowieso schon als Persiflage gedacht war, nochmal persiflieren, und dabei bloß keinen Witz auslassen  – „Wir lieben Rütteln und Schütteln, deswegen nehmen wir auch immer die Deutsche Bahn, da dauert's länger“ oder „Oh Leopold. Poldi. Podolski“. Nun, es funktioniert ja auch: Das Premierenpublikum, in dem auch Dieter Hallervorden und René Kollo gesichtet werden, nimmt es begeistert auf, und alle scheinen das Theater mit einem Jodeln auf den Lippen zu verlassen.

Das „Rössl“ läuft bis zum 5. August.  Weitere Infos: www.renaissance-theater.de

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