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Blick ins Treppenhaus des Teheran Museum of Contemporary Art

© Eftetahe

Otto-Piene-Schau im Iran: Regenbogen über Teheran

Das Teheran Museum of Contemporary Art zeigt rund 90 Werke von Otto Piene - und die Macher sind selbst verblüfft, wie sehr sie damit einen Nerv der Iraner treffen.

Die jungen Frauen sind in der Überzahl, geduldig warten sie, bis endlich die Räume freigegeben werden. Die Stimmung ist heiter, beinahe euphorisch, gespannte Neugierde ist fast mit Händen zu greifen. Die Eröffnung von Otto Pienes Werkschau im Teheran Museum of Contemporary Art (TMOCA) war für die Kulturszene Teherans ein Ereignis ersten Ranges.

Draußen herrschten beste Wetterbedingungen für die Installation einer Himmelsskulptur, die sich nur am Eröffnungsabend über dem Eingang des TMOCA wölbt. Zwei mit Helium gefüllte Plastikschläuche verweisen auf den vieldeutigen Titel der Schau: „Rainbow“. Schon das könnte im Gottesstaat Iran als Provokation verstanden werden. Denn der Regenbogen ist nicht nur Symbol des Friedens und der Freiheit, er ist auch die Flagge der schwul-lesbischen Bewegung. Und im Falle Otto Pienes zudem eine Reminiszenz an seinen „Olympia Regenbogen“, der 1972 in München in den Himmel stieg. Damals war das gigantische Himmelskunstwerk Symbol der Hoffnung nach den Terroranschlägen. Nun bewacht eine Mini-Ausgabe dieses Kunstwerks die kaleidoskopartige, in deutsch-iranischer Zusammenarbeit entstandene Werkschau des Zero-Künstlers. Man kann sie als Zeichen jenes gesellschaftspolitischen Tauwetters deuten, das seit dem Amtsantritt von Präsident Hassan Ruhani unter der Devise „Versöhnung mit der Welt“ im Iran offizielles Programm ist.

Die Lage im Iran ist unübersichtlich, Grenzen werden ständig neu ausgelotet

Doch der Öffnung Richtung Westen stemmen sich auch starke Kräfte entgegen. Parallel zur Piene-Eröffnung sorgt eine Meldung für Negativschlagzeilen: der Holocaust-Karikaturenwettbewerb, zu dem das Teheraner Kulturinstitut Sarcheshmeh mit dem „Haus der Karikatur“ aufruft. Ein scheinbar krasser Widerspruch, der jedoch Methode hat. Denn er zeigt, dass die Lage unübersichtlich geworden ist, dass Grenzen ständig neu ausgelotet werden.

Die Piene-Schau in Teheran (noch bis 17. April) versammelt rund 90 Werke. Kuratiert und organisiert wurde sie mit der Düsseldorfer Galerie Breckner, dem Museumsteam aus Teheran unter Leiter Madschid Mollanorusi und mit Joachim Jäger, stellvertretender Direktor der Nationalgalerie in Berlin, wo im Sommer 2014 die letzte Ausstellung zu Pienes Lebzeiten stattgefunden hat. Die Teheraner Schau hat er noch selbst konzipiert.

Kraftvoll wuchen Pienes Himmelsskulpturen in die umliegenden Räume

Farah Palavi, die Frau des Schahs, ließ das TMOCA in den 70er Jahren erbauen. Seine labyrinthische Architektur scheint für Pienes Kunst wie gemacht, das Haus bietet Räume jeder Größe. Schon im kreisförmig ansteigenden Foyer wuchern die spektakulären Himmelsskulpturen „Inflatables“ kraftvoll in die umliegenden Räume hinein. Meditativ dagegen wirken die „Lichtgeister“, in langsamem Puls beleuchtete Glasskulpturen, die von dem Farbspiel der Imam-Moschee in Isfahan inspiriert sind und von Piene eigens für Teheran geschaffen wurden. Der Bezug zur persischen Kultur erschließt sich jedem Iraner unmittelbar, wie Besucher versichern. Die große Dia-Projektion „Proliferation of the Sun“ von 1966/67 hat von ihrer psychedelischen Wirkung offenbar nichts eingebüßt und scheint in Teheran den Nerv zu treffen. Denn der abgedunkelte Raum, in dem sie gezeigt wird, ist der Publikumsmagnet der Schau. Wie eine überraschende Fortschreibung von Pienes Arbeit der 60er Jahre wirkt es, wenn sich Kunst und Besucher in den Displays unzähliger Smartphones magisch leuchtend vervielfachen.

„Für uns ist das sehr wichtig, dass wir einen bedeutenden westlichen Künstler hier sehen, denn wir können nicht einfach reisen“, erzählen zwei Kunststudentinnen. Die Landart-Künstlerin Atefeh Khas ist fasziniert, wie unmittelbar verständlich Pienes Kunst ist: „Sie spricht von der ganzen Welt und wird in der ganzen Welt verstanden.“ Auch die Macher der Schau sind verblüfft, wie gut Otto Piene in Teheran ankommt. Kunsthistoriker und Katalogautor Raimund Stecker sieht dessen humanistische Vision bestätigt: „Die elementarisierenden Arbeiten Pienes stehen in der Tradition der Konkreten Kunst und führen fort, was seit über 100 Jahren künstlerisches Anliegen ist: Internationalität über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg.“ Die Menschen in Teheran scheinen das zu verstehen.

Regine Müller

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