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Kultur: Recht auf Rache

Im Kino: Hilary Swank als „Betty Anne Waters“

Wenn Menschen im Kino das Gesetz selbst in die Hand nehmen, um ihr Recht gegen ein korruptes System durchzusetzen, dann entfaltet sich oft eine stereotype Dynamik. Auf ein Verbrechen zu Beginn folgt eine ganze Reihe von Verbrechen, die der Geschädigte und/oder zu Unrecht Verdächtigte begeht, um den Schuldigen zur Strecke zu bringen. Die Verbrechen des Unschuldigen sind doppelt gerechtfertigt: durch das anfängliche Verbrechen und weil er gezwungen ist, außerhalb des Systems zu agieren. Indem er das erlittene Leid vielfach über seine Widersacher bringt, kommt Gerechtigkeit zum Zuge und wird das System gereinigt.

Als Selbstjustiz-Film enttäuscht „Betty Anne Waters“ diese Erwartungen. Das ist gut, weil er auf einer wahren Geschichte beruht. Die „Auge um Auge“-Moral der klassischen Racheerzählungen mag als Fiktion erträglich sein, aber in der Realität ist es besser, wenn die Menschen das Gesetz in den Händen derjenigen lassen, die dafür zuständig sind. Charles-Bronson-Figuren sind nur so lange Helden, wie sie auf der Leinwand bleiben. Außerhalb des Kinos sind uns Helden wie Betty Anne Waters lieber.

Als ihr Bruder Kenny (Sam Rockwell) wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wird, lebt Betty Anne (Hilary Swank) in geordneten Verhältnissen: Sie ist verheiratet, hat zwei kleine Söhne und arbeitet als Bedienung. In Rückblenden wird erzählt, dass Kenny und sie in prekären Verhältnissen aufgewachsen sind, sie sind sich selbst überlassen, brechen in Wohnungen ein und spielen heile Welt, bis die Behörden sie in verschiedene Pflegeheime stecken. Diese Trennung ist die Urszene der Geschwisterbeziehung, die Vertreibung aus einem dürftigen Paradies. Fortan tun die beiden alles, um zusammenzubleiben.

Die Geschwister gehören jener Schicht an, die in amerikanischen Strafprozessen meist den Kürzeren zieht. So nimmt Betty Anne die Sache selbst in die Hand, holt ihren Highschool-Abschluss nach, studiert Jura und rollt als Anwältin den Fall neu auf. Selbstjustiz auf dem Rechtsweg sozusagen. Dass sie dabei ihre eigene Familie aufs Spiel setzt, nimmt sie in Kauf.

Die Handlung erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte, weshalb Regisseur Tony Goldwyn, Enkel des Hollywood-Tycoons Samuel Goldwyn, große Teile der Geschichte anhand kurzer Eindrücke erzählt, die plakativ wirken. Doch das differenzierte Spiel der Darsteller entschädigt dafür: Hilary Swank, selbst in einem Trailer Park aufgewachsen, gibt Figuren, die darum kämpfen, ihrer schäbigen Herkunft zu entkommen („Boys Don’t Cry“, „Million Dollar Baby“), besonders überzeugend. Sam Rockwell spielt Kenny als charismatischen Choleriker, dem man einen Mord zutraut und gleichzeitig die Freiheit wünscht. Beide statten ihre Rollen mit einer emotionalen Bandbreite aus, die ahnen lässt, welche Geschichten sich noch hinter dieser wahren Geschichte verbergen könnten. David Assmann

In acht Kinos; OV im Cinestar SonyCenter, OmU in der Kulturbrauerei

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