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Simon Rattles letzte Saison, in der er den Berliner Philharmonikern voll zur Verfügung steht, geht langsam zu Ende.

© dpa/EPA/Juan Carlos Cardenas

Berliner Philharmoniker: Raffinesse statt Religion

Detailscharf: Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker wagen sich an Bruckners Achte Sinfonie.

Seit seinem Amtsantritt 2002 muss sich Simon Rattle für seinen Geschmack in Sachen zeitgenössischer Musik rüffeln lassen. Was er in Auftrag gibt, um es mit den Berliner Philharmonikern im Konzert zu servieren, steht im Verdacht, künstlerisch bestenfalls ein Appetithäppchen zu sein. Rattle kontert das cool mit seinem Bekenntnis zu kompositorischen Tapas. Die werden gereicht, bevor es einen ausgewachsenen Hauptgang gibt, nach dem dann das akustische Fassungsvermögen gänzlich erschöpft ist.

Wenn er es all seinen Kritikern noch mal so richtig zeigen will, dann lädt der scheidende Chef zum Ende der Saison 2017/18 zu einem Konzert, für das alle mit spitzen Fingern angefassten Tapas der vergangenen Jahre noch einmal angerichtet werden. Ob der Humor dafür reicht, kann wohl nur spontan entschieden werden. Die philharmonische Menüplanung verrät bislang nichts davon. Simon Holts neuer Beitrag zur Tapas-Karte ist zutiefst spanisch motiviert, darauf deutet auch der Titel „Surcos“ (Furchen). Inspiriert von einer Poesie des Verlusts ist der Sechsminüter zugleich Gedenken an den verstorbenen Kollegen Sir Peter Maxwell Davies. Ein Largo mit bohrenden Erinnerungsspitzen, eine harmonisch geweitete Abschiedsgeste, die an das Adagio von Gustav Mahlers 10. Symphonie erinnert. Und, einmal verklungen, erstaunlich wenig hinterlässt – schon gar keinen Vorgeschmack auf das üppige Nachtmahl mit Anton Bruckners Achter.

Simon Rattle vermag es, aus harmonischen Reibungen Tränen fließen zu lassen

Zuletzt dirigierte sie Herbert Blomstedt bei den Philharmonikern, ihm nachzufolgen ist selbst für Simon Rattle kein leichter Weg. Und dann steht da im CD-Regal noch die Live-Aufnahme mit Günter Wand. Ein einziger großer Schwung, der über beinahe 90 Minuten hinweg alles trägt. Rattle – das ist keine Überraschung - disponiert anders, seine Lesart von Dramatik schärft viel stärker an den Details, bahnt sich mehr neugierig als altmeisterlich einen Pfad ins Hochgebirge. Das ist vor allem dann eine Freude, wenn die geballte Philharmoniker-Kraft gerade noch gezügelt werden kann, die Dynamik eher unterspielt ist und die Erwartung ins Unendliche wachsen kann. Rattle vermag wie kaum ein Zweiter, aus harmonischen Reibungen Tränen fließen zu lassen, doch er hält sich damit bei der Achten spürbar zurück. Zu sehr erscheint ihm die letzte vollendete Symphonie Bruckners schon aller Erdenschwere entrückt.

So wenig man dagegen einwenden kann, so schade ist das auch, denn Rattle ist ein Diesseitskünstler von großer Suggestionsfülle. Gedrosselt macht sie aus diesem Abend keinen ganz großen Wurf, hält aber ausreichend Kostbarkeiten bereit: mürber und zugleich farbiger Streicherklang, Blechbläser mit dunkelkörnigem Grollen. Raffinesse statt Religion.

(noch einmal an diesem Montag, 20 Uhr)

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