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Hynde

© dpa

Konzertkritik: The Pretenders: "She's got it in her heart!"

Am Montagabend legten die legendären Pretenders im Kesselhaus den zweiten Auftritt ihrer Deutschland-Tour hin. Unser Autor und selbst ehemaliger Rockband-Frontmann H.P. Daniels war dabei und ist begeistert.

Vor etwa 30 Jahren tauchte in England eine der aufregendsten, neueren Rockbands auf: The Pretenders veröffentlichten zwei exquisite Alben und ein paar herausragende Singles und gaben umwerfende Konzerte bis sie 1982 ihren Bassisten Pete Farnden wegen exzessiven Heroin-Gebrauchs rauswarfen und nur zwei Tage darauf ihr brillanter Gitarrist James Honeyman-Scott an einer Überdosis starb.

Seitdem, sagt die Sängerin Chrissie Hynde, seien die Pretenders eine "Tribute Band" - den beiden gestorbenen Ex-Mitgliedern zu Ehren, die den einzigartigen Pretenders-Sound - New Wave, Rockabilly, Reggae, harte Gitarren - ursprünglich mitgeprägt hatten. Unzählige Male hat Hynde danach die Besetzungen verändert, immer wieder neue Pretenders auf Tonträger und Bühne gebracht. Ein Witz also, wenn der Veranstalter die Pretenders "in Originalbesetzung" ankündigt.

Chrissie Hynde hat all die Jahre blendend überdauert und sieht mit 57 fast unverändert aus, als sie auf die Bühne des Kesselhauses springt, hinreißend mit ihren schwarzen Strubbelhaaren, taubenblauer Weste über ärmellosem Hemd, Jeans und kniehohen Stiefeln. Immer noch das ultimative "Rock 'n' Roll Girl". Und schon ballert sie heftige Akkorde in eine goldglitzernde Telecaster und singt "Boots Of Chinese Plastic" als Hommage an Dylan's "Boots Of Spanish Leather".

Auch die erotische Alt-Stimme ist so berauschend wie früher, kraftvoll, dynamisch, mit dem speziellen Tremolo, das sie so besonders macht: "I'm special, so special, I gotta have some attention, give it to me" singt sie später in der Zugabe. Doch die Aufmerksamkeit der Zuhörer hat sie ab dem ersten Song und wird sie die folgenden eindreiviertel Stunden nicht mehr loslassen. Martin Chambers, einziger Überlebender der Urbesetzung, hämmert sehenswert elegant in sein Schlagzeug, so kraftvoll, dass eine transparente Schallschutzwand die Mitspieler vor den harten Schlägen schützt. Während sie sich durch eine erlesene Songauswahl der letzten 30 Jahre rattern bis zum neuen Album "Break Up The Concrete".

James Wallbourne brilliert zum steinigen Rock 'n' Roll von "Rosalee" mit einem leidenschaftlich aus der Stratocaster gerupften Gitarrensolo, wie später noch einmal bei "Thumbelina" mit rasenden Country-Läufen à la James Burton. Ein toller, neuer Mann, der erst geboren wurde, als die Pretenders schon gegründet waren.

Eric Heywood gibt mit der Pedal Steel Songs wie "Tequila" eine hübsche Country-Note und Nick Wilkinson in schwarzem Cowboyhemd trägt den Bass tief und den Kopf hoch.

Dazwischen wuselt Chrissie als treibende Kraft, charmant, sexy, stimmgewaltig. "Ein Rätsel?", fragt sie: "Muswell Hill and a great songwriter?" - "Ray Davies!" ruft's aus dem Saal, natürlich, und da sind auch schon zwei seiner unsterblichen Songs: "I Go To Sleep" und "Stop Your Sobbing".

Einst hatten Davies und Hynde derart miteinander gezankt, dass sich am Tag der geplanten Hochzeit der Standesbeamte weigerte, die beiden zu trauen. Lange her. "Break up the concrete" singt sie jetzt, Marracas schüttelnd, zum rasanten Bo-Diddley-Beat. Und die zu Tränen rührende Ballade "I Stand By You", um gleich "Middle Of The Road" hinterherzuknallen.

Das macht eine brillante Rock-Band aus: Aufrichtigkeit, Energie, Dynamik, Spaß und eine gewisse Rotzigkeit. Sowie auch immer ein Quentchen Unberechenbarkeit. Eine gewisse Nervosität, Hibbeligkeit bei aller Professionalität. Ein paar Unsauberkeiten, Ecken und Kanten, dass es roh bleibt und nicht in polierter Routine verkommt. Die "neuen" Pretenders haben genau die richtige Mischung. Und was sagte Neil Young über Chrissie Hynde? "She's got it in her heart!" So ist es.

H.P. Daniels

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