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Konzertvorschau: Róisín Murphy: Die Bühnenanarchistin

Die Neo-Disko-Diva Róisín Murphy wirbelt heute Abend in Berlin durchs Huxley’s.

Nicht mal auf die Engländer ist Verlass. Als Róisín Murphy vor einem Jahr ihr zweites Soloalbum „Overpowered“ auf den Markt warf, hätte man wetten mögen, dass sie den großen Knaller landet. Aber nein, ihr makelloses Neo-Disko-Meisterwerk, auf dem sie großartige Songs wie „You know me better“, „Let me know“ oder das unschlagbare Titelstück präsentierte, dümpelte im Pop-Mutterland auf Platz 20 der Charts und blieb bei 40.000 verkauften Exemplaren hängen – in einem Jahr, in dem es Grobmotoriker wie Linkin Park, Teenie-Zicken wie Avril Lavigne, Songwriter-Heulsusen wie James Blunt und Dreitagebart-Boygroups wie Maroon 5 bis an die Spitze der UK-Hitparade schafften. Einzig in Belgien bewies man Geschmack, wo sich „Overpowered“ nicht nur in den Top 10 etablierte, sondern auch in absoluten Zahlen besser verkaufte als im fünfmal bevölkerungsreicheren Großbritannien.

Vielleicht war es kein gutes Omen, dass sich Róisín Murphy wenige Wochen vor der Veröffentlichung eine üble Bühnenblessur zugezogen hatte: Letztlich stellte sich ihre bei einem Konzert in Moskau erlittene Verletzung als nicht ganz so dramatisch heraus, wie man nach ersten Gerüchten befürchten musste. Aber sie war doch so ernst, dass ihr Berlin-Konzert abgesagt wurde. Beim Nachholtermin im Januar durfte man sich dann vorstellen, wie es zum Unfall kommen konnte: Róisín Murphy ist eben auch eine waghalsige Tänzerin, deren unberechenbare Kopfschwünge und Verrenkungen auf der von einer sechsköpfigen Begleitformation bevölkerten Kesselhaus-Bühne ein ums andere Mal haarscharf an Gitarrenhälsen, Mikrofonständern oder Monitorboxen vorbeiwirbelten.

Gerade im Vergleich zu einer Hochleistungsbühnenarbeiterin wie Madonna oder den gleichförmigen Choreografien zeitgenössischer R’n’B-Größen wirkt Murphys anarchische Performance befreiend und ansteckend komisch. Zumal man auch sonst einiges zu bestaunen hat. So ist die Konzertgarderobe legendär verschroben, ihre Handhabung liebevoll antiperfektionistisch: Zum Kostümwechsel verschwindet die Diva nicht etwa in den Backstagebereich, sondern wirft sich auf der Bühne Federboas um, zwängt sich in hauteng sitzende Rüschenkleider und präsentiert eine Auswahl ihrer enormen Hutkollektion.

Comeback von Moloko nicht ausgeschlossen

Erstaunlicherweise kann  bei ihrer Show ganz auf die Erwähnung ihrer früheren Karriere verzichten. 1973 in Irland geboren, zog sie nach der Scheidung ihrer Eltern nach Sheffield, wo sie ihren späteren Lebensgefährten Mark Brydon kennenlernte und mit ihm 1995 Moloko gründete. Das stilistisch zwischen Trip Hop und Eurodisco angesiedelte Projekt landete zwei internationale Hits: „Sing it back“ und „The Time is now“. Nach der privaten Trennung wurde 2004 auch Moloko auf Eis gelegt. Ein Comeback wird von Murphy nicht ausgeschlossen, scheint aber angesichts ihrer Soloaktivitäten nicht unmittelbar bevorzustehen.

Bedauern muss man das nicht. Schon „Ruby Blue“, das Solodebüt 2005, wuchs mit seiner Kombination aus federnden Elektrobeats und jazzigen Bläserarrangements über den zuletzt ermüdet klingenden Moloko-Sound hinaus. Der Nachfolger „Overpowered“ war noch besser, reduzierter und unbedingt auf Tanzbarkeit hin produziert. Und falls man aus ihrer aktuellen, dunkel-hypnotischen Coverversion des Bryan-Ferry-Hits „Slave to Love“ Schlüsse auf das nächstes Jahr erscheinende dritte Album ziehen kann, darf man sich auf eine herausragende Veröffentlichung freuen. Hoffentlich schnallen das dann nicht wieder nur die Belgier.

Huxley‘s Neue Welt, 13. November, 20 Uhr, 23 Euro + VVK

Jörg W, er

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