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© Getty

Neues Album: Arctic Monkeys: Das große Schwindeln

Die Arctic Monkeys gingen für ihr drittes Album in die Wüste. Es heißt „Humbug“. Aber genau das ist es nicht.

Jugend ist ein Geschenk. Es wird den Langsamen gemacht. Die anderen müssen zusehen, dass sie wenigstens ein bisschen von der Unbeschwertheit abbekommen, die ihr Tatendrang pulverisiert. Kinder werden ja so schnell erwachsen. Das trifft vor allem auf vier junge Burschen aus dem nordenglischen Sheffield zu. Sie heißen Alex Turner, Jamie Cook, Matt Helders und Nick O''Malley, und sie gehören zur ganz schnellen Sorte.

Mit kaum zwanzig machten sie unter dem Namen Arctic Monkeys erste Demoversionen ihrer Songs im Netz bekannt. Zu einer Zeit, da das von den Strokes und Franz Ferdinand initiierte Rock-Revival bereits wieder zu erlahmen drohte, kam das rustikal-ahnungslose Quartett mit seinen schnellen und lauten Power-Songs und suggestiven Texten gerade recht. Als das Debütalbum folgte, brach es sämtliche Rekorde: Beinahe 400 000 Mal verkaufte sich „Whatever People Say I Am, That''s What I''m Not“ in der ersten Woche. Öfter als jedes Beatles- oder Oasis-Album. Eine Kids-Generation, die eigentlich aufgehört hatte, CDs zu kaufen, rannte los, um dieser Rock-Sensation am Entstehen mitzuhelfen.

Das ist jetzt noch nicht einmal vier Jahre her. Trotzdem haben die Arctic Monkeys in der Zeit etliche Konzertreisen absolviert, ein noch schnelleres und lauteres zweites Album an der Grenze zum Heavy Metal nachgeschoben, und sich wieder auf Tour begeben. Danach gingen sie für eine Weile auseinander. Nun erscheint mit „Humbug“ bereits die dritte Platte dieser immer noch jungen, aber längst nicht mehr jugendlichen Band. Trotzdem klingt sie kein bisschen vollendeter als zu Beginn ihrer Karriere. Wenn ihre Musik anfänglich etwas Kurzgeschorenes besaß, so ist mit den langen Haaren und Locken auch ihr Bewusstsein für wehende Arrangements gewachsen. Jetzt rappelt es nicht mehr, da rumort’s.

Laut sind die Arctic Monkeys nach wie vor. Aber dass irgendwas nicht mehr ist wie ehedem, als sie einfach losstürmten und ihren Mangel an Virtuosität durch hohes Tempo ausglichen, deutet sich schon in den ersten Akkorden an. Schwer legt sich einem die metallisch hallende Gitarrenfigur ins Ohr. Die Drums bollern wie drohendes Unheil. Und Sänger Turner bittet, man möge ihm helfen, seinen Propeller anzuschmeißen, alleine kriege er das nicht hin: „Coax me out my low and have a spin of my propeller.“

Dass sich etwas tun würde in dieser Band, hatte Turners Ausflug mit seinem Nebenprojekt The Last Shadow Puppets in psychedelischere Klanggefilde bereits angedeutet. Nun fühlt sich der Frontmann, der Inspiration aus dem traurigen Anblick eines Mädchens auf dem Straßenstrich oder Versuchen zog, in der Disko Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, von einer unerklärlichen Düsternis befallen.

„I’m pinned down by the dark“, singt er. Und die Musik fegt die Trübsal nicht mehr weg. Das ist wohl die bemerkenswerteste Neuerung im noch schmalen Œuvre der Arctic Monkeys. Um dahin zu gelangen, mussten sie allerdings weit reisen: nach Joshua Tree, Kalifornien, wo der Gralshüter des bratzend-schrundigen Stoner Rock, Josh Homme, ein illustre Clique modernitätsresistenter Musiker um sich geschart hat. Vielen Kollegen ist diese Fahrt in die Wüste bereits wie ein Pilgerweg vorgekommen. Und auch die vier Britboys staunten nicht schlecht, als der Kopf der Queens of the Stone Age sie in einem klapprigen Kleinbus vom Flughafen abholte und in eine Gegend karrte, in der praktisch keine Menschenseele mehr anzutreffen ist. Wenn sie bei den Aufnahmen nicht weiter wussten, ballerten sie in die Nacht.

Am Ende sind sieben der zehn Stücke von „Humbug“ aus dieser Zusammenarbeit hervorgegangen. Aber vielleicht waren sie der Band selbst nicht geheuer, denn für den Rest wandten sich Turner & Co. wieder an ihren New Yorker DJ- Freund und Produzenten James Ford, um dem Album wenigstens gelegentliche Lichtstreifen zu verleihen. So ist Hommes Einfluss auf die neue gravitätische Breitbeinigkeit der Band unverkennbar. Ihr wesentliches Stilelement, der Break, der sie sich selbst überholen ließ und dafür stand, dass die Welt auf jungen Kerle einzustürzen schien, ist aus ihrem Spektrum verschwunden. Stattdessen dominieren die im Stoner Rock üblichen Riffs und schleppenden Beats. Das gibt Turner Raum, seine Beobachtungen in gewundene Melodien zu gießen. Da ist manche Zeile besser, als der dazugehörige Song.

Die Arctic Monkeys sind eine Band in the making. Sie wurden berühmt, bevor sie richtig gut werden konnten, so dass jedes Album in dem Bemühen, sich selbst zu übertreffen, nur einen Übergang darstellt. Mit „Humbug“, dieser dräuenden, versteppten, assoziativen Platte, haben sie sich über Sheffield und den ruppigen Working-Class-Gestus hinaus bewegt. Aber angekommen sind sie nicht. Durch die Songs züngelt der Geist des Irrsinns und hellsichtigen Deliriums.

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