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Neues Album: Lebe schnell, stirb alt

Das Fieber steigt: Munk liefern mit „Cloudbuster“ den deutschen Beitrag zur aktuellen Disco-Welle.

Giorgio Moroder war ein echter Nerd. Am liebsten frickelte der Südtiroler in seinem mit Synthesizern und Mischpulten vollgestopften Münchner Musicland Studio herum. Live-Auftritte mochte er nicht, dafür baute er ab 1973 Donna Summer mit Hits wie „I Feel Love“ und „Love to Love you, Baby“ zum Mega-Star der Euro-Disco auf. So wurde der Mann mit der getönten Brillen und dem Pornoschnurrbart zu einem der ersten Super- Producer. Und der von ihm geprägte „Sound of Munich“ bescherte der selbsternannten Weltstadt mit Herz ihre erste und einzige Blütezeit als Popmetropole.

Mathias Modica ist so etwas wie der Nachfolger von Moroder. Der Münchner Pianist, DJ und Produzent betreibt seit 1999 mit Jonas Imbery in Schwabing das Gomma Label, das beharrlich an einem neuen München-Sound arbeitet – durchaus angeweht vom Geist des großen Tirolers. Bei Gomma geht es um Clubmusik, vor allem um Disco in all ihren Spielarten von Italo bis Cosmic. Womit das Label derzeit phänomenal im Trend liegt. Denn das Mitte der Siebziger in New Yorker begründete Genre erlebt gerade wieder ein Revival. Der Reiz eines stampfenden Vierviertel-Takts, kombiniert mit dominanten, oft synkopischen Bassläufen und eingängigen Melodien ist einfach nicht totzukriegen. Disco hat öffentliche Plattenverbrennungen, AIDS, Drogen und Club-Schließungen ebenso überlebt wie die Überkommerzialisierung in der Folge von „Saturday Night Fever“ und ABBA. In den Achtzigern ging es in neuen Klamotten dank Michael Jackson, den Weather Girls, Madonna, Prince, Kylie Minogue und vielen anderen weiter.

Die Anzeichen für die aktuelle Disco- Welle verdichten sich schon eine ganze Weile – man denke nur an Madonnas „Confessions On A Dancefloor“ (2005), Róisín Murphys „Overpowered“ (2007) und zuletzt Mobys „Last Night“. Nun erreichen allerdings immer mehr Alben aus hippen Indie-Zusammenhängen die Aufmerksamkeit des Mainstream. Dies könnte mit etwas Glück auch der nächsten Gomma-Platte gelingen, die am Freitag erscheint. Sie heißt „Cloudbuster“ und ist nach „Aperitivo“ (2004) die zweite Veröffentlichung von Mathias Modicas Projekt Munk. Der Start gelingt fulminant mit der Single „Live Fast! Die Old!“. Sie basiert auf einem von Bass und Klavier synchron gespielten Motiv, das an die Bassline aus „Another One Bites The Dust“ von Queen erinnert (die wiederum bei Chic abgeschaut ist). Darüber wimmern die Synthies, dass es eine Freude ist. Für den mehr gesprochenen als gesungenen Text hat Halbitaliener Modica die wunderbare italienische Schauspielerin Asia Argento engagiert, die auch noch auf zwei anderen Stücken zu hören ist. Ein weiterer illustrer Gast ist der 67-jährige Schwabinger Kultregisseur Klaus Lemke, ein Nachbar des Gomma-Studios. Er hat den Text des Songs „Rat Race“ geschrieben und bescheinigt den Labelmachern in einem mit der Schreibmaschine getippten Promotext „eine gewisse münchenspezifische Mürrischkeit, die das sichere Zeichen für Sexbesessenheit ist“. Letzteres hört man dem Album nicht an, „mürrisch“ passt hingegen gut. Denn die sehr vielschichtige Platte gibt sich keineswegs mit leicht tanzbaren Sounds zufrieden. Sie versammelt auch durchgedrehte Syntheziser-Leistungsshows, fies verzerrte Stimmen und piepsige Computerspiel-Töne. Selbst ein Sommerlied wie „Down in L. A.“ verbreitet neben lasziver Lässigkeit auch eine Ahnung von bösen Unfällen in den besungenen Chevrolets. Und bei „Monopteros“ hat man sogar das Gefühl, die Krautrocker von Amon Düül II seien in die Studiotechnik gefahren.

Großen Anteil am Disco-Trend hat das mit Gomma befreundete New Yorker Label DFA rund um Mastermind James Murphy und sein LCD Soundsystem, dessen zwei Studioalben zu den einflussreichsten Electro-Platten der letzten Zeit zählen. Ihre Wirkung ist etwa auf „I Created Disco“ (SonyBMG), dem Debüt des Kylie-Minogue-Produzenten Calvin Harris, nicht zu überhören.

Bei DFA erschien vor zwei Jahren Hot Chips Meisterwerk „The Warning“, auf dem sich mit „Over And Over“ und „I Was A Boy From School“ zwei der besten Disco-Songs des neuen Jahrtausends befanden. Noch eins drauf setzte das Label kürzlich mit Hercules And Love Affair und ihrem gleichnamigen Debüt, der reinsten Disco-Hommage der Saison. Hinter dem Projekt steckt der 1978 geborene Andrew Butler, der mit 15 seine Liebe zu House- und Discomusik entdeckte und später Komposition studierte. Zusammen mit Antony Hegarty von Antony & The Johnsons, den Sängerinnen Nomi und Kim Ann hat er ein fantastisches Album gemacht, das von der Kritik einhellig bejubelt wurde. Der Musikexpress schrieb, es sei „die geschmeidigste, schillerndste und glamouröseste Variante von Neo-Disco seit Erfindung des musikalischen Recyclings“. Butler gibt zu, dass seine Platte fast nur aus Zitaten besteht, was in einer ohnehin referenzsüchtigen Szene kein Problem ist. Vor allem aber überzeugt die Haltung von Hercules And Love Affair. Das Quartett legt sein Herz mit so viel Inbrunst unter die Discokugel, dass man einfach dahinschmelzen muss.

Das mehrheitlich aus schwulen, lesbischen und transsexuellen Mitgliedern bestehende Projekt weist zudem zurück in die Anfangszeiten von Disco, als die Musik in einem Minderheitenkontext beheimatet war. Im Gegensatz zum Rock, der vom weißen heterosexuellen Machismo geprägt war, war Disco immer eine Sache von schwarzen Musikern und schwulen Clubs – was in den USA zu einigen Hassattacken führte.

Die derzeitige Disco-Welle ist hingegen ziemlich blasshäutig. Immerhin gibt es mit dem Newcomer Sam Sparrow einen Sänger über den Chaka Khan gesagt hat: „Verdammt, der weiße Junge kann ja singen!“ Auch Vergleiche mit Prince und Marvin Gaye gab es schon. Sein am 20.6. erscheinendes selbstbetiteltes Debüt (Island/Universal) hat ebenfalls einen starken Disco-Touch und mit dem stompenden „Black and Gold“ bereits einen Clubhit. Die Welle geht also weiter, zumal nächste Woche die große Donna Summer nach 17 Jahren mit dem Album „Crayons“ (SonyBMG) ihr Comeback feiert. Fehlt eigentlich nur, dass auch Giorgio Moroder seine alten Synthies wieder einstöpselt.

„Cloudbuster“ erscheint am 30. 5. In der Nacht zum Freitag, 0 Uhr, legen Gomma- DJs im Cookies, Friedrichstr., auf.

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