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Bartosz Bielenia, der "falsche" Priester in "Corpus Christi", war European Shooting Star bei der Berlinale 2020.

© Arsenalfilm

Polnischer Erfolgsfilm "Corpus Christi": In Gottes Namen

Amtsmissbrauch der besseren Art: Im polnischen Publikums-Kinohit "Corpus Christi" gibt sich ein entlassener Häftling als Priester aus und krempelt eine Dorfgemeinde um.

Das Licht ist immer woanders. Oft kommt es von hinten, die Menschen bleiben Silhouetten vor dunklem Grund. Manchmal sind in den düsteren Häusern des polnischen Dorfs auch noch die Vorhänge zugezogen. Und manchmal taxiert die Kamera die Leute auch ganz aus der Nähe, Daniel (Bartosz Bielenia) vor allem, seine leuchtend grauen Augen, den sinnlichen Mund, das glatte Gesicht mit den kurz geschorenen Haaren. Es wird einem ungemütlich dabei.

Daniel ist alles andere als eine Lichtgestalt. Aber die Dorfbewohner sehen in ihm so etwas wie einen Messias. Es ist eine Geschichte aus Polen, die auf wahren Begebenheiten basiert (Drehbuch Mateusz Pacewicz): Ein junger Häftling, in Wahrheit hieß er Patryk, wird aus der Jugendstrafanstalt entlassen und gibt sich als Priester aus. Er zelebriert Messen, Taufen, Beerdigungen, er trifft die Leute ins Herz. Bis der Schwindel auffliegt, es gibt kein Happy End.

Amtsmissbrauch in der katholischen Kirche ist seit Bekanntwerden der Missbrauchsskandale ein Riesenthema. 2018 hatte das Filmdrama „Klerus“, in dem auch Opfer des sexuellen Missbrauchs zu Wort kommen, den polnischen Kinos über fünf Millionen Besucher beschert (und Proteste der Kirche), es wurde der dritterfolgreichste Film in der Geschichte des Landes. Anschließend erschütterte ein Youtube-Doku zum Thema das Land.

In „Corpus Christi“ geht es um eine andere, bessere Art von Amtsanmaßung, und auch Regisseur Jan Komasa landete damit einen Publikumserfolg, gewann Dutzende Preise, eine Oscar-Nominierung und eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis. Hauptdarsteller Bartosz Bielenia, der mit einer seltsam-charismatischen Mischung aus Scheu und Draufgängertum fasziniert, wurde auf der Berlinale 2020 als European Shooting Star gefeiert.

Anderer Hemdkragen und schon glauben ihm alle das Priesteramt

Daniel möchte Priester werden, so fängt es an. Aber kein Seminar nimmt Straftäter auf, sagt Pater Tomasz bei Daniels Entlassung aus der Strafanstalt und verschafft ihm einen Job im Sägewerk am anderen Ende des Landes. Jeder von uns ist ein Priester Christi, hatte der Pater auch noch gesagt. Daniel nimmt ihn beim Wort. Stibitzt ein Hemd mit Kollar, geht statt ins Sägewerk lieber in die Dorfkirche, wo er sich vor der unerschrockenen jungen Marta (Eliza Rycembel) spontan als Geistlicher ausgibt. Kleider machen Leute. Prompt landet er im Pfarrhaus und vertritt alsbald den Pastor, der sich wegen Alkoholproblemen in eine Klinik begeben muss.

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Seit einem Autounfall mit sechs toten Jugendlichen lastet ein schwerer Schatten auf dem Dorf. Das mit Frömmigkeit getarnte Schweigen, der Puritanismus, es kann auch eine Sünde sein. Daniel nimmt den Kampf mit den Dämonen auf. So erzählt „Corpus Christi“ eine Parabel von Trauer und Trost, Verdrängung und Vergebung, Gottesfurcht und Bigotterie, die spätestens dann zutage tritt, wenn die Eltern vor der Totentafel auf dem Dorfplatz den Fahrer des anderen Wagens als Mörder beschimpfen, und seine Witwe als Hure.

Gemeinsam mit Marta fördert Daniel die Wahrheit über den Unfall als Licht. Nervös mit den Knien zitternd, schreckt er vor der eigenen Courage auch mal zurück und weiß doch entschlossen aufzutreten. Im Beichtstuhl behilft er sich mit Tipps aus dem Smartphone, bald bietet er selbst dem Bürgermeister die Stirn: ,Sie haben die Macht, aber ich habe recht“. Sagt’s und lässt ihn mit weiteren Honoratioren bei der Einsegnung des Sägewerk-Anbaus auf matschigem Gelände niederknien und der Gier abschwören.

Toller Autorenfilm: "Corpus Christi"-Regisseur Jan Komasa tritt in die Fußstapfen eines Kieslowski

Mit seinem dritten Film nach „Suicide Room“ (2011), der einem Abiturienten aus wohlhabendem Hause in den Chatroom von Suizidwilligen folgte, setzt Jan Komasa die Tradition des großen polnischen Autorenfilms fort. In ruhigen, farbentsättigten, sorgsam komponierten Bildern schöpft er das rebellische Potenzial einer modernen Jesus-Geschichte aus, die angesichts des nackten Gekreuzigten über dem Altar ihre Wirkung entfaltet. Nicht der Religiosität huldigt sie, sondern der Empathie.

Ein kurzer Film über die Kirche. Der heute 38-jährige Absolvent der legendären Filmhochschule Lodz tritt in die Fußstapfen eines Krzysztof Kieslowski, auch eines Polanski. Unter dem Schmerz und der Lüge lauert die Gewalt. Die Kamera bewegt sich kaum, fast unmerklich zoomt sie an den Protagonisten heran, harrt aus, lässt sich Zeit. Affiziert von der Erstarrung der Dorfgemeinschaft, registriert sie umso aufmerksamer jede Miene, jede Regung. Der Titel verrät es: „Corpus Christ“ ist auch ein ungemein sinnlicher, physischer Film über Menschen, die sich unwohl fühlen in ihren Körpern und nicht herauskönnen aus ihrer Haut.
Ab Donnerstag, den 3. September, in 11 Berliner Kinos. OmU: Delphi Lux, IL Kino, Krokodil, Moviemento, Passage

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