zum Hauptinhalt
Martin Wuttke, Franz Beil und Milan Peschel (von links) zwischen Pragmatismus und Skeptizismus.

© Apollonia T. Bitzan

Pollesch an der Volksbühne : Neuer Schub aus dem VEB Erdöl

René Pollesch hat an der Volksbühne eine alte Inszenierung entstaubt. „Und jetzt“ ist Diskurstheater im real existierenden Skeptizismus.

Und jetzt? Gute Frage! Was tun angesichts der Weltlage auf diesen Brettern, die ja angeblich die Welt bedeuten? Wacker gegen die Realdepression anspielen? Eskapistisch um sie herum? Oder mit stoischer Zuversicht (wo auch immer man die herholt) aus ihr heraus? Kann das überhaupt gehen: der Wirklichkeit mit Bühnenzauber beikommen? Und last but not least: Sollte es?

Der neue Volksbühnen-Abend ist nicht der erste, an dem René Pollesch – als Dramatiker, Regisseur und Intendant des Hauses – über diese Fragen nachdenkt. Erst gab es, vor allem am wenige Kilometer entfernten Deutschen Theater, zuletzt einige Inszenierungen von ihm, die sich explizit mit Brechts dialektischem Theater auseinandersetzten.

Dialektisches Denken heißt ja: im Denken das größtmögliche Paradox anzustreben.

Martin Wuttke
in „Und jetzt“

Dann kam „Geht es dir gut?“, Polleschs jüngste, zusammen mit Co-Autor, Co-Regisseur und Schauspieler Fabian Hinrichs entwickelte Arbeit am Rosa-Luxemburg-Platz. Die führte in grandios souveräner und selbstironisch reflektierender Weise vor, wie die alten (Bühnen-)Mittel den Dienst an der neuen Wirklichkeit versagen. Fabian Hinrichs verpasste auf offener Bühne den Flieger, sprich: den Anschluss an die neue (Theater-)Zeit. Die jungen, frischen Kräfte hoben ohne ihn ab.

Wahre Arbeit, wahrer Lohn: das Denkmal des Erdölverarbeitungswerks Schwedt.

© Apollonia T. Bitzan

Tja – und jetzt? Stellt Pollesch die Frage konsequenterweise ganz direkt, im Titel. Und auf sehr unterhaltsame Weise nicht beantwortet wird sie diesmal von Franz Beil, Milan Peschel und Martin Wuttke, die – zumindest im Wesentlichen – drei Arbeiterschauspieler des Erdölverarbeitungswerks Schwedt Ende der 1960er Jahre spielen. Pollesch greift auf reale Volksbühnen-Geschichte zurück: 1969 inszenierte Benno Besson mit dem Arbeitertheater des besagten Betriebs tatsächlich ein Stück: „Horizonte“ von Gerhard Winterlich, das auf der Folie von Shakespeares „Sommernachtstraum“ die betriebsinternen Konflikte um die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung beackerte.

„Und jetzt“ ist eine stilechte DDR-Reminiszenz

Im September 1969 eröffnete Besson dann seine erste Spielzeit als künstlerischer Oberleiter der Volksbühne mit dem Versuch, „Horizonte“ in einer Bearbeitung von Heiner Müller ins hauptstädtische Berufstheater zu überführen. Die Inszenierung mit den damaligen Stars des Hauses – Angelica Domröse, Ursula Karusseit oder Eberhard Esche – floppte zwar. Aber sie bietet natürlich jede Menge Anknüpfungspunkte. Das Erdölverarbeitungswerk und der Klassismus sind nur zwei davon – die bei Pollesch freilich eher implizit mitschwingen, als plakativ thematisiert zu werden.

Worüber indes durchaus explizit gesprochen wird – und dies für Pollesch-Verhältnisse mit 95 Minuten sogar in geradezu epischer Weise –, sind die Kybernetik, der „Wumms“ oder das „Agitproptheater“. Clever klärt das Trio Beil, Peschel und Wuttke zudem einander über die Situationisten auf und wirft sich goldene Merksätze zu: „Dialektisches Denken heißt ja: im Denken das größtmögliche Paradox anzustreben.“ Es bespielt dabei in beglückender Weise ein stilechtes DDR-Reminiszenz-Setting, für das die Bühnenbildnerin Anna Viebrock eigens nach Schwedt gereist ist: Eine zugehangene Freilichtbühne, über der groß das Wort „Diskothek“ prangt, grüßt traurig vom Horizont, während im Orchestergraben Betriebskantinen-Flair herrscht.

Hier bekommen die Arbeiterschauspieler-Darsteller die für Pollesch-Abende seltene Gelegenheit, fast so etwas wie Charakterskizzen zu entwickeln. Milan Peschel turnt als forscher Funktionär, Typus Neuerer, über die Plastikstühle. Dagegen muss sich Martin Wuttke als sein vermutlich schon seit Jahrzehnten müde in sich zusammengesackter Kollege schon mehrfach vom Blitz treffen lassen, damit sich was bewegt. Und Franz Beil erscheint als Inkarnation einer irgendwie sehr seltenen Kombination aus Pragmatismus und Skeptizismus. Eine große Zuschaufreude!

Dass die Diskursdichte diesmal weniger hoch ist als in anderen Pollesch-Stücken, passt ebenso zum Thema der entschleunigten DDR wie zu jener (Denk-)Pause, die der Abend leitmotivisch beschwört. So gesehen verlässt man „Und jetzt?“ mit durchaus konkreter Vorfreude: What’s next?  

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false