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Philosophie: Das einzig Wahre

Der Italiener Ugo Perone kehrt als Guardini-Professor der Humboldt-Universität nach Berlin zurück. In seiner Antrittsvorlesung singt er ein "Loblied der Philosophie"

Von Gregor Dotzauer

Die Philosophie ist eine bedauernswerte Disziplin. Erst war sie über Jahrhunderte die Dienstmagd der Theologie, dann die vom Thron gestoßene Königin der großen Erzählungen, wie sie Hegel im Bunde mit dem Weltgeist und Marx auf der scheinbar ehernen Grundlage des dialektischen Materialismus webten. Heute fristet sie ein Gnadenbrot zwischen geistesgeschichtlichem Historismus und platter Lebenshilfe. Höchste Zeit, ihr wieder mehr Würde zu verleihen und ein „Loblied der Philosophie“ zu singen, wie es der Italiener Ugo Perone bei seiner Antrittsvorlesung zur Guardini-Professur für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung tat, die er an der HumboldtUniversität als Nachfolger Jean Greischs für die nächsten zwei Jahre innehat.

Aber ach, wie unbescheiden tritt die Philosophie bei ihm auf. Wie schwärmerisch hält sie an der Idee der einen begehrenswerten Wahrheit fest und will damit hinter die Zerfallserfahrungen der Moderne zurück und zugleich über sie hinaus. Das Bewusstsein von der verlorenen Totalität wetteifert mit dem „immer dringenderen“ Wunsch, „dieses Ganze anzugehen, das sich uns dennoch entzieht“. Dass sie ihre eigene Maßlosigkeit beim Versuch, ein Maß zu finden, „das für alle gilt“, unumwunden zugibt, macht die Sache keinen Deut besser.

Ohne Philosophie, mahnt Perone, riskiert die Welt „eine gefährliche Atomisierung, denn dann können Sinn, Wahrheit und Gutes, die doch existieren, nicht zum Wort kommen und können nicht gemeinsam geteiltes Vermögen werden. Sie bleiben auf dem neutralen Gebiet hingeworfen, in dem wir miteinander leben, aber wie stumme Inseln, von denen jeder von uns nur für sich antwortet. Philosophie heißt aber in erster Person zu antworten, jedoch vor allen und alle auf sich nehmend.“ Katholischer kann man es kaum sagen, weshalb sich glatt übersehen ließe, dass Perone anders als seine Vorgänger kein Theologe ist. Ja, er ist ein erklärter Säkularist, der „ohne jedoch daraus ein eigenes Fundament zu machen“ auf den „großen Schatz der religiösen Erfahrung zurückgreifen“ will. Von allem nimmt er sich, was er gebrauchen kann: von der Literatur die Wahrheit der ästhetischen Erfindung, von der philosophischen Logik die Übereinstimmung mit den Tatsachen – und vom Glauben das Moment der Offenbarung und der Evidenz.

Philosophie ist für ihn zwar Menschenwerk, denn „allein Gott, wenn er existiert, könnte einen Blick haben, der fähig wäre, das Ganze zu durchdringen, ohne es zu verletzen“. Unter einer „Aufmerksamkeit für das Heute“ als „moderner Form des Gebets“ und unter einer „Fülle der Gegenwart“ als „Präfiguration der Ewigkeit“ macht er es indes nicht. Herr Pfarrer, bitte übernehmen Sie!

Ugo Perone, 1945 in Turin geboren, ist in Berlin kein Unbekannter – und mit deutscher Philosophie bestens vertraut. Von 2001 bis 2003 leitete er das italienische Kulturinstitut, bis die Berlusconi-Regierung ihn schasste. Seiner denkerischen Herkunft nach ist er, ein Schüler von Luigi Pareyson wie Umberto Eco und Gianni Vattimo, Hermeneutiker.

In Erinnerung an den griechischen Gott Hermes, der die Botschaften des Zeus ins Irdische übersetzte, besteht Philosophie für ihn in einem Prozess beständiger Interpretation. Perone hält es dabei mit Walter Benjamins Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“, der eine „reine Sprache“ jenseits aller nationalsprachlichen Phänotypen postuliert. Sein zweiter Gewährsmann ist Alain Badiou, ein ehemaliger Maoist, der noch immer mit der kalten Vernunft des Revolutionärs das Ereignis einer absoluten, keiner demokratischen Verwässerung zugänglichen Wahrheit verteidigt und dem Tugendterror damit Tür und Tor öffnet.

Zusammen ergeben Badiou und Benjamin, der als Kritiker und Essayist ein Genie, als Sprachphilosoph aber ein mystelnder Wirrkopf war, eine ungesunde Mischung, die auch der als Person demütige und grundsympathische Perone nicht entschärfen kann. „Ich philosophiere, um mich zu ermutigen, so wie Kinder in dunklen Fluren singen“, zitiert er sein dem Schweizer Denker Charles Secrétan entlehntes Lebensmotto. Seien wir froh, dass es sich dabei um einen Akt der Autosuggestion und nicht der Massenhypnose handelt. Gregor Dotzauer

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