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Auf Zehenspitzen. Kirill Petrenko dirigiert Mozarts Haffner-Sinfonie.

© Monika Rittershaus

Petrenko dirigiert die Philharmoniker: Höllensturz ins Glück

Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker – zum ersten Mal seit seiner Wahl zum künftigen Chefdirigenten

Vom philharmonischen Kalender aus betrachtet, handelt es sich bei diesem Abend um das „4. Konzert der Serie F“. Gefühlt aber wohnt man in der Philharmonie dem Antritt von Kirill Petrenko bei, den die Berliner Philharmoniker im Juni 2015 zu ihrem künftigen Chefdirigenten gewählt haben. Es ist sein erstes Dirigat nach diesem Votum, für das die Musiker Erstaunen und Bewunderung in nahezu gleichen Teilen ernteten. Während sich die einen fragten, ob Petrenko überhaupt das klassische Kernrepertoire beherrscht, schwärmten die anderen für sein unbestechliches Arbeitsethos, seine Hingabe, seine musikalische Energie. Der Maestro selbst schwieg zu alldem und will es auch in Zukunft so halten. Eine Umstellung nach dem charmeoffensiven Kommunikator Simon Rattle und den auratischen Erscheinungen Claudio Abbados. Von Karajans Willen zur Klangmacht mal ganz abgesehen.

Petrenko, im Februar 45 Jahre alt geworden, ist keiner, der es sich leichtmacht. Diese Eigenschaft ist es vor allem, mit der sich die Philharmoniker in den nächsten Jahren identifizieren müssen, wenn ihr neuer Chef aus München nach Berlin wechselt. Auch das ein vorsichtiger und langsamer Prozess. In dieser Saison folgt kein weiterer Auftritt, die Pläne für die nächste Spielzeit sind noch nicht bekannt. Selbst die angekündigte Übertragung dieses Konzerts im Kino wurde wieder gestrichen – überraschend für viele, die keine Karten mehr für die Philharmonie bekommen hatten.

Der Druck, unter dem Kirill Petrenko zu Beginn dieses Abend steht, ist immens. Um ihm zu begegnen, macht der Dirigent einen Schritt nach vorne, erscheint in seiner Körpersprache vertrauter mit dem Orchester, als er es eigentlich sein kann zu diesem Moment. Auf den Pulten liegt Mozarts Haffner-Sinfonie, ein in hektischer Eile entstandenes Feierwerk, gewürzt mit serenadenhafter Weltvergessenheit, aber auch eine offene Tür zum Spätwerk des Komponisten, mit Augenblicken von melancholischer Tiefe und sich in der Stille abzeichnender Größe. Petrenko lädt hier nichts Fertiges ab, sucht intensiv nach seinem Ton. Das verwirrt diejenigen, die sich noch an seine gut durchbluteten Mozart-Dirigate an der Komischen Oper erinnern können. Es passt aber zu diesem skrupulösen Künstler.

Unter Petrenko wird die Schönheit fragiler

Rattle war direkter, Harnoncourt dramatischer, Kleiber charmanter. Und was ist nun Petrenko? Bei diesem Mozart tastet er vorsichtig das Terrain ab und korrigiert gleich im Andante des zweiten Satzes seine Position zum Orchester, geht einen Schritt zurück, um Spannung aus der Distanz zu ziehen. Noch will das nicht recht gelingen, weil die Fliehkräfte auf andere Kraftverhältnisse justiert sind. Was aber unmittelbar zu spüren ist: Unter Petrenko wird die Schönheit fragiler, verliert an erwartbarer Selbstverständlichkeit. So etwas muss im philharmonischen Edelklanguniversum erst einmal ankommen.

Auf dem Weg dorthin hakelt und klappert es gelegentlich, den Musikern steht die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Lockerlassen ist nicht die Lieblingstugend des neuen Chefs. Dass er keinen Masterplan für Mozart ausrollt, sondern sich mit seinem künftigen Orchester auf eine von Verkrampfungen nicht ganz freie Suche begibt, mögen ihm Zuhörer als Schwäche auslegen. Es ist aber vor allem eine ehrliche Bestandsaufnahme, ohne die es kein gemeinsames Wachsen geben kann.

Weiter zurück zieht sich Petrenko in John Adams’ 20-minütige Komposition „The Wound-Dresser“, die Verse von Walt Whitman über die Schrecken des amerikanischen Bürgerkriegs mit einer Musik unterlegt, die kitschig wirken könnte in ihrer unentwegten Hymnenseligkeit. Da ist Petrenko vor, auch wenn er dem Werk damit seinen Stachel zieht und den einfühlsamen Bariton Georg Nigl um einen klaren Absprungpunkt bringt. Als Statement über seinen Geschmack in puncto moderne Musik sollte man diesen Einschub nicht werten, Adams ist in dieser Saison composer in residence der Philharmoniker.

Und dann, nach dem Tasten und Festhalten, der behaupteten und erfüllten Nähe, kommt der erste Satz von Tschaikowskys „Pathétique“. Aus dem Nichts, aus der Stille gewordenen Verneinung entfachen die Philharmoniker eine Kraft, die durch alle Register drängt, klar und unausweichlich, vielstimmig und unentrinnbar. Petrenko fegt alle Larmoyanz aus der Partitur, wie es ihm beim Auftritt mit dem Bayerischen Staatsorchester beim Musikfest mit Strauss’ „Sinfonia domestica“ gelang. Und plötzlich ist er da, ein Höllensturz von kristalliner Urgewalt. Harsch reißt er unsere Erwartungen und Hoffnungen mit sich – und öffnet so erst die Ohren für das flüchtige Wunder der Musik.

Allein für diese gute Viertelstunde müsste sich jedes Orchester dieser Welt Petrenko zu Füßen legen. Aber auch der Rest der „Pathétique“ lässt die Philharmoniker strahlen, ohne sich in ihrem Können zu sonnen. Der dritte Satz, ein furios gescheiterter Marsch zu einem strengen Glück. Und ach, der Abgesang. Stehende Ovationen.

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